Ukraine: Wie hilft unser Land den Kriegsopfern
2 März, 2022 | Aktuell
Sechs Tage ist es erst her, seit Putins Truppen in die Ukraine, das gut 600 000 Quadratkilometer grosse Land im Osten Europas, einmarschierten. Präsident Wolodymyr Selenskyi rief daraufhin den Kriegszustand im Land aus, die ganze Welt kennt seither kaum ein anderes Thema mehr.
Was jedoch vor dem Überfall am 24. Februar und den Jahre dauernden Kämpfen von Separatisten im Westen der jetzt überfallenen ehemaligen Sowjetrepublik nur wenig bekannt war: Die Ukraine ist neben Russland das zweitgrösste Staatsgebiet Europas, rund 1,7 Mal so gross wie Deutschland. Es grenzt neben Russland auch an Belarus, Polen, die Slowakei, Ungarn, Rumänien und die Republik Moldau. Seit 1991 und dem Zerfall der Sowjetunion ist die Ukraine unabhängig und völkerrechtlich ein freier Staat.
Nach nur kurzem Zögern reagierte der Westen überraschend schnell und hart auf Putins verbrecherischen Überfall. Sanktionen liessen den Rubel massiv einbrechen, weshalb die russische Notenbank den Leitzins von 9,5 auf 20 Prozent erhöhen musste. Der Zugang zum Zahlungssystem Swift wurde Moskaus Föderation weltweit weitgehend eingeschränkt. Blockiert sind die meisten russischen Banken ausserhalb des Landes. Selbst private Konti von Oligarchen der Putin-Clique – auch in der Schweiz – sind eigefroren. Die internationalen Abriegelungen verunmöglichen es dem Potentaten über den grössten Teil seiner rund 630 Milliarden angehäuften Devisenreserven zu verfügen. Auch für die Menschen im Land selber ist es immer schwieriger noch an Geld zu kommen, da der Rubel so massiv wie nie zuvor an Wert verloren hat. Die Inflation liegt gleichzeitig bei 20 Prozent. Es herrschen Restriktionen im Reiseverkehr, Verbindungen in den Westen sind nicht mehr möglich. Und dies ist bloss ein Teil der Zwangsmassnahmen.
Doch die Verhältnisse im Land des Aggressors sind immer noch geradezu angenehm im Vergleich zur Ukraine. Spätesten seit dem direkten Angriff auf die Hauptstadt Kiew am 25. Februar sind dort nach Schätzung der Vereinigten Nationen mindestens 650 000 Urkrainerinnen und Ukrainer auf der Flucht und es werden ständig mehr. Menschen, die nur einen Wunsch haben: so bald wie möglich ohne Angst um ihr Leben wieder zurück in ihre Heimat zurückkehren zu können.
In der Schweiz leben derzeit rund 11 000 Personen ukrainischer Herkunft, von denen viele bereit sind, ihre geflüchteten Verwandten aufzunehmen. Wer keine Verwandtschaft oder nicht ausreichend finanzielle Mittel zum Überleben hat, kann in einem Bundesasylzentrum ein Asylgesuch einreichen.
Was tut die Schweiz für Kriegsflüchtline?
thebroker hat beim Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement EJPD im Staatssekretariat für Migration SEM nachgefragt, ob und wie viele Flüchtlinge die Schweiz aufnehmen werde. «Jede Person kann Asyl beantragen; das SEM prüft jedes dieser Gesuche individuell und sorgfältig nach den konkreten Umständen im Einzelfall» sagt Lukas Rieder, Mediensprecher SEM.
Die Situation in der Ukraine sei im Moment sehr unübersichtlich. Das Ausmass der Auswirkungen des russischen Einmarsches auf die Migrationsbewegungen Richtung Schweiz hänge von der weiteren Entwicklung ab. Je flächendeckender die Kampfhandlungen sich entwickelten und je länger diese andauerten, desto eher dürften potentielle grössere Migrationsbewegungen die Folge sein. Die Situation werde laufend evaluiert. Zum aktuellen Zeitpunkt gehe die Schweiz davon aus, dass bei einer grossen Migrationsbewegung aus der Ukraine kurz- und mittelfristig primär die Nachbarstaaten betroffen sein dürften. Danach diejenigen Staaten mit einer grossen ukrainischen Diaspora. Die Diaspora in der Schweiz sei mit rund 7 000 Personen im europäischen Vergleich eher klein.
Auf einen deutlichen Anstieg der Asylgesuche wäre die Schweiz vorbereitet, durch die Schwankungstauglichkeit des Systems und auch durch eine entsprechende Notfallplanung, die im Falle grösserer Migrationsbewegungen aktiviert würde. Im Moment sei gut die Hälfte der 5 000 Plätze in den Bundesasylzentren belegt.
Unterbringung der Flüchtlinge in Schweizer Familien
Der Bundesrat hat gestern entschieden, Staatsangehörige aus der Ukraine grosszügig und unbürokratisch in der Schweiz aufzunehmen. Die Einreise ist ohne Visum möglich. Bis Ende diese Woche wird der Bundesrat weiter entscheiden, ob erstmals der kollektive Status S für Schutzbedürftige aktiviert wird oder ob individuell ein Asylgesuch eingereicht werden soll.
Demnach können sich Ukrainerinnen und Ukrainer visumsfrei 90 Tage lang im Schengen-Raum aufhalten. Während dieser Zeit sei eine private Unterkunft bei Schweizer Familien ohne weiteres möglich. Danach müssten sie ihren weiteren Aufenthalt in der Schweiz regeln. Ist ihnen dies möglich, so stünde einer weiteren Unterbringung bei Privaten nichts entgegen.
Das SEM hat die Kantone eingeladen, bei Bedarf pragmatische Lösungen zu finden, um den Aufenthalt von bleibewilligen Ukrainerinnen und Ukrainern, die sich vorübergehend bewilligungsfrei in der Schweiz aufhalten oder deren bestehende Aufenthaltsbewilligung abläuft, möglichst unbürokratisch zu verlängern. Selbstverständlich steht es Ukrainerinnen und Ukrainern auch offen, in der Schweiz ein Asylgesuch zu stellen.
Ukraine: Hilfsgüter für ein Land im Krieg
Laut Valentin Clivaz, dem Chef-Mediensprecher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten EDA hat die Schweiz über ihr Korps für humanitäre Hilfe, das dem EDA angegliedert ist, am gestrigen 1. März 2022 rund 25 Tonnen Hilfsgüter nach Warschau transportiert. Diese Güter im Gesamtwert von 400 000 Franken (inklusive Lieferung) umfassen Familienzelte, die mit Schlafmatten, Wolldecken, Heizungen und Kochutensilien ausgestattet sind. Sie wurden per Luftfracht geliefert.
Das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VBS stellt seinerseits dringend benötigte medizinische Güter und Medikamente aus der Armeeapotheke zur Verfügung. Diese werden Mitte dieser Woche auf dem Landweg nach Polen geliefert. Die Hilfsgüter sind für die vom Konflikt betroffene Bevölkerung in der Ukraine und in den angrenzenden Ländern bestimmt.
Geldspenden für die Ukraine an UNICEF, IKRK und Caritas Schweiz
Spenden für die 7,5 Millionen Kinder in der Ukraine sammelt UNICEF. Für 100 Franken gibt es Hygienekits für zwei Familien. Für 150 Franken Erste-Hilfe-Sets für fünf Familien und für 200 Franken neun Winter-Überlebenspakete für kleine Kinder auf der Flucht.
Auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz IKRK leistet vor Ort und wo die Sicherheitslage es zulässt humanitäre Hilfe und lebensrettende Unterstützung. Seine medizinischen Teams sowie Wasser- und Infrastrukturingenieure*innen arbeiten daran, mehr als drei Millionen Menschen Zugang zu sauberem Wasser zu verschaffen, deren Häuser durch schwere Kämpfe beschädigt wurden. Mit einmaligen oder monatlichen Geldspenden kann hier geholfen werden.
Caritas Schweiz hat am 28. Februar aufgrund der zuspitzenden Situation einen Nothilfebeitrag von 1,5 Millionen Franken gesprochen, um Menschen in der Ukraine mit dem Nötigsten zu versorgen. Gleichzeitig wird mit dem Geld auch die Nothilfe für die Aufnahme, Unterbringung und Versorgung der Flüchtenden in den Nachbarländern unterstützt. Geldspenden können hier geleistet werden.
Sachspenden aus den Kantonen
Wie das Schweizer Fernsehen gestern meldete sammelt der Kanton St. Gallen Feldbetten Decken, Matratzen, Schlafsäcke, Kochutensilien Schutzhelme, Notfallapotheken, Kleider und Schuhe. Das Material soll nach Rumänien und Polen gefahren werden, wo viele Flüchtlinge aus der Ukraine erwartet werden. Der erste Transport soll bereits am gestrigen Dienstagabend losgeschickt werden.
Die Hilfe aus der Region Basel wird bisher durch Freiwillige organisiert. Die Helfer haben sich über Facebook und Whatsapp-Gruppen organisiert. In Basel-Stadt leben rund 240 ukrainische Staatsangehörige. Der Kanton Basel-Stadt trifft Vorbereitungen, kurzfristig mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Vorerst stehen freie Plätze in den kantonalen Asylunterkünften zur Verfügung. Sollte der Platz nicht ausreichen, wird für die temporäre Erstaufnahme eine unterirdische Anlage in Betrieb genommen.
Der Kanton begrüsst auch die solidarische Unterstützung durch Private. Wer Wohnungen oder Zimmer für Ukraine-Flüchtlinge zur Verfügung stellen möchte, kann sich bei «Gastfamilien für Flüchtlinge GGG – Stichwort Ukraine» (Tel: 075 413 99 65) melden.
Flüchtlingen, die bei Verwandten untergebracht sind und für ihren Lebensaufenthalt nicht (mehr) aufkommen können, wird empfohlen, sich beim Bundesasylzentrum zu melden und sich als Asylsuchende, bzw. Schutzbedürftige registrieren lassen. Dies ermöglicht die finanzielle Unterstützung im Rahmen der Sozialhilfe.
Binci Heeb
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