Regulierung unter Druck
17 Juni, 2025 | Aktuell Allgemein
Am HZ Insurance Forum 2025 wurde klar: Die Versicherungsbranche steht an einem Wendepunkt. Zwischen wachsendem Regulierungsdruck, unklaren Standards und zunehmender Komplexität rückt die Frage nach Eigenverantwortung und Transparenz in den Mittelpunkt.
Regulierung ist in der Versicherungsbranche kein neues Thema, doch der Ton hat sich verschärft. «Es gibt Fragen, auf die wir keine Antworten haben», sagte Martin Geser, Directeur général der TSM Compagnie d’Assurances, auf dem Panel zu VAG und AVO. Die Vielzahl an Auflagen, insbesondere bei Spezialprodukten, und die fehlende Harmonisierung sorgen für Frustration. Auch Vera Carspecken, Leiterin des Geschäftsbereichs Versicherungen ad interim bei der FINMA, betonte, wie schwierig die praktische Umsetzung neuer Vorgaben sei: «Die Transparenz ist wichtig, aber was konkret bedeutet sie. Was ist praktikabel, was nicht?»
Besonders in der Versicherungsvermittlung herrscht Unklarheit. Viele Regularien greifen zu kurz oder sind schwer umsetzbar. Es herrscht sehr viel Unsicherheit, sehr viel Transparenzforderung, und sehr viel Informationsdefizit. Mehr Standardisierung wird gefordert, um das Verhältnis zwischen Versicherern, Vermittlern und Kunden auf ein solides Fundament zu stellen.
Das Risiko bleibt in der Branche
Ein zentrales Beispiel ist die Frage, wann Transportangebote zu Versicherungsberatungen werden, und wer dann haftet. «Wenn wir diese regulatorischen Anforderungen auf solche Spezialfälle anwenden, dann entsteht Unsicherheit», erläuterte Martin Geser. In diesem regulatorischen Niemandsland bewegt sich die Branche zwischen Eigenregulierung und staatlichem Eingreifen. Das führt, gerade in der Beratung, zu Intransparenz.
«Wir haben kein Massenprodukt, jede Versicherungslösung ist ein Spezialfall», so Geser weiter. Deshalb brauche es klare, aber praktikable Standards. Vermittler sollten nicht unter Generalverdacht gestellt werden, so das einhellige Votum. Es gibt sehr viele gute Vermittler und einige schwarzen Schafe, die alle kennen, aber sie sind nicht die Mehrheit.



Regulierung in der Praxis: Zwischen Realität und Reformwunsch
Gefragt, ob er seit der Generalversammlung des Schweizerischen Brokerverbandes SIBA ein besseres Einvernehmen mit der FINMA habe, antwortete Martin Lehmann, Präsident: «Ich bin nicht glücklich in der Zwischenzeit, aber wir haben eine bessere Beziehung mit der FINMA, auch weil man inzwischen versteht, dass Probleme entstehen, wenn Mitarbeitende nicht registriert sind und wir deshalb nicht mehr zusammenarbeiten dürfen.“ Damit sprach er ein strukturelles Problem an, das viele Versicherungsvermittler betrifft: neue Vorschriften werden eingeführt, ohne deren Auswirkungen auf die tägliche Praxis vollständig zu berücksichtigen.
Lehmann warnte zugleich vor einem regulatorischen Übermass: «Wir regulieren, regulieren, regulieren nochmals, und die Verordnungen gehen oft weit über das hinaus, was politisch beschlossen wurde.» Sein Appell: Die Schweiz brauche dringend ein fassbares Verordnungsrecht, das demokratisch legitimiert und praktikabel sei. Gleichwohl sieht er auch Fortschritte: «Die Sicherungsverordnung kann die Branche stärken, wenn wir die neue Regulierung gemeinsam gestalten. Dafür braucht es den Dialog.»
Wirtschaftlicher Gegenwind: Impulse von Prof. Aymo Brunetti
Einen übergeordneten Rahmen zur Bewertung der Herausforderungen bot die Keynote von Prof. Dr. Aymo Brunetti. Der Ökonom analysierte die «Wirtschaftsaussichten in einem turbulenten Umfeld» und warnte vor strukturellen Risiken wie Protektionismus und geopolitischen Spannungen. Zwar sei die Inflation rückläufig, doch das Wachstum bleibe zu schwach: «Weniger als vier Prozent globales Wachstum ist langfristig zu wenig für eine gesunde Weltwirtschaft.»
Die politischen Unsicherheiten in den USA – insbesondere im Wahljahr – sowie Konflikte wie der Ukraine-Krieg und Spannungen im Nahen Osten beeinflussten das globale Investitionsklima negativ. Für die Schweiz bedeute das: mehr geopolitische Volatilität, ein starker Franken und eine angespannte Exportlage. «Auch für die Versicherungsbranche stellt sich die Frage: Wie widerstandsfähig ist ihr Geschäftsmodell gegenüber solchen Schocks?»
Klarheit gefordert – nicht Kontrolle um der Kontrolle willen
Was gebraucht wird, ist nicht mehr Kontrolle, sondern mehr Klarheit. Die Versicherungswirtschaft steht heute vor der Aufgabe, nicht nur gesetzliche Vorgaben umzusetzen, sondern Vertrauen durch nachvollziehbare Kommunikation zurückzugewinnen. Die Branche signalisiert Bereitschaft, doch sie braucht einen stabilen, verlässlichen Rahmen.
Oder wie es Vera Carspecken formulierte: «Die Diskussion muss kompetenter und entscheidungsfreudiger werden, so kommen wir gemeinsam voran.»
Binci Heeb
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