Zwischen Hoffnung und Umsetzung – Generative KI verspricht Effizienz
20 Juni, 2025 | Aktuell Allgemein Nicht kategorisiert
Von Chatbots bis Schadenbearbeitung: Der Einsatz von Generative AI verspricht Effizienz und neue Kundenerlebnisse. Doch der Weg dorthin ist gepflastert mit kulturellen Hürden, Datenschutzfragen und fehlender strategischer Verankerung.
Im Rahmen eines Experten-Lunchs geleitet von Dr. Marcel Thom, Insurance Lead Partner, Deloitte, diskutierten Vertreter von ERV, Amazon Web Services und Deloitte den Status Quo von GenAI in der Schweizer Versicherungsbranche. Walter Wattinger, CEO der Europäischen Reiseversicherung ERV, konstatierte: «Die Schweizer Versicherer haben in den letzten zwei Jahren definitiv aufgeholt.» Seine Firma setze auf KI in der Schadenbearbeitung, während andere etwa Chatbots eingeführt hätten. Die Schweiz gehe dabei vorsichtiger vor als angelsächsische Märkte, was Datenschutz und Qualitätsanforderungen angehe. «Das ist kein Nachteil», so Wattinger, «aber jetzt braucht es Tempo in der Umsetzung.»
Auch Christian Richter von AWS bestätigte: «Der Datenschutz ist hier zu Recht sehr hoch. Aber wir sehen inzwischen grosse Investitionen in lokale KI-Infrastrukturen.» Noch fehle es jedoch an produktiver Umsetzung in den Kernprozessen. «Viele Use Cases bleiben in der Kundeninteraktion stecken, während gerade in Schaden, Underwriting und Vertrieb das grösste Potenzial liegt.»
Strategisch oder taktisch? Zwei Geschwindigkeiten
Madan Sathe, Strategieberater bei Deloitte, sieht eine Zweiteilung im Schweizer Markt: Rund fünf Versicherer denken strategisch, mit klarer AI-Vision, Verantwortung und KPI-gestütztem Vorgehen. Die anderen hätten zwar einzelne Pilotprojekte, agierten aber reaktiv. «KI ist ein Transformationsprojekt, kein Sprint. Wer es nicht in die Unternehmensstrategie einbettet, bleibt in der Experimentierphase stecken.»
Internationale Versicherer seien weiter: «Dort baut man Generalized AI Factories, sammelt hunderte Use Cases und extrahiert daraus gemeinsame Funktionalitäten. Die Schweiz ist da erst auf dem Weg.»

Use Case Schadenbearbeitung: Echtzeit trifft Effizienz
Wie konkreter Nutzen entsteht, zeigt das Beispiel der ERV. «Wir automatisieren die Klassifizierung und Prüfung von Schadenfällen, inklusive direkter Auszahlung» erklärt Wattinger. Erste Resultate: massiv kürzere Durchlaufzeiten und eine Extraktionsqualität von über 90 Prozent. Wichtig sei dabei, so Wattinger, dass GenAI den Mitarbeitenden helfe: «Wir wollen repetitive Aufgaben automatisieren, damit Menschen sich auf komplexe Fälle konzentrieren können.»
Die grössten Hürden: Daten, Kultur, Vertrauen
Ein zentrales Thema bleibt die Datenqualität. «Ohne saubere Daten keine KI» so Sathe. Christian Richter ergänzte: «Wir sehen den Trend zu hybriden Lösungen mit Cloud und Inhouse-Modellen. Open-Source-Ansätze und Schweizer LLMs wie SwissGPT werden immer wichtiger.»
Kulturell sei der Wandel ebenso anspruchsvoll: «Viele ältere Mitarbeitende trauen sich nicht zu fragen, wenn sie etwas nicht verstehen. Man muss sie gezielt abholen», erklärte Binci Heeb, Chefredaktorin thebrokernews, die selbst Schulungen für Ältere anbietet. Richter bestätigte: «Der War for Talent wird zum War for Senior Talent. Die Erfahrung älterer Mitarbeitender wird durch GenAI sogar aufgewertet.»
Was jetzt zählt: Tempo, Talente, Vertrauen
Wattinger formulierte es zum Schluss pointiert: «Wir brauchen jetzt Tempo, Talente und Vertrauen.» Es brauche praxisnahe Umsetzung, Mitarbeiterbildung und einen offenen Dialog über Nutzen, Risiken und Grenzen. Denn nur wenn KI als integrierter Bestandteil der Wertschöpfungskette gedacht wird, entfaltet sie ihr volles Potenzial.
Die Schweizer Versicherungswirtschaft steht an der Schwelle zur digitalen Transformation. GenAI bietet die Werkzeuge. Jetzt braucht es Mut zur Umsetzung.
Binci Heeb
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