«Die Prämien der Vielen für die Verluste der Wenigen»

26 August, 2025 | Aktuell Allgemein Video
«Die Prämien der Vielen für die Verluste der Wenigen» beschreibt es der Brite Richard Leftley.
«Die Prämien der Vielen für die Verluste der Wenigen» beschreibt es der Brite Richard Leftley.

Wie Richard Leftley mit Mikroversicherungen Millionen Menschen absicherte und warum sein Modell auch für westliche Märkte Zukunft hat.

In Afrika und Asien besitzen weniger als ein Prozent der Menschen eine Versicherung. Trotzdem leben sie täglich mit existenziellen Risiken, wie Krankheit, Unfall, Naturkatastrophen. Richard Leftley wollte das ändern. Als er 2002 MicroEnsure gründete, ahnte er nicht, dass daraus eine der grössten Mikroversicherungsplattformen der Welt, mit über 64 Millionen versicherten Familien, entstehen würde. Heute gilt der Brite als Pionier des digitalen Embedded-Insurance-Modells. Und er ist überzeugt: Was in Lagos funktioniert, kann auch in London oder Berlin einen Nerv treffen.

Ein Text reicht: Versicherung per SMS

Was nach Science-Fiction klingt, ist in vielen afrikanischen Ländern Realität. Die Policen von MicroEnsure waren so simpel, dass sie sich in zwei Sätzen erklären liessen. «Wenn du stirbst, zahlen wir deiner Familie 1 000 Dollar. Keine Ausschlüsse. Keine seitenlangen Vertragswerke», beschreibt Leftley. Der Beitritt? Per SMS. Die Prämie? Zwischen drei Cent und einem Dollar pro Monat, abgebucht direkt vom Prepaid-Guthaben des Mobiltelefons.

Versichert wurden einfache, einkommensrelevante Risiken wie Tod, Unfall oder Krankenhausaufenthalte. Die Schadenssumme lag meist zwischen 500 und 2 000 Dollar: genug, um ein existenzielles Loch zu stopfen.

Warum Mikroversicherungen in armen Ländern funktionieren

Leftley beobachtete früh: Wenn die Katastrophe ein ganzes Dorf trifft, versagt die «soziale Versicherung», das Prinzip, dass Freunde und Familie über WhatsApp kleine Beträge spenden. «Die Prämien der Vielen zahlen die Verluste der Wenigen. Aber wenn alle betroffen sind, hat niemand mehr etwas zu geben», so Leftley. Genau hier greift Versicherung im klassischen Sinn mit dem kollektiven Risikoausgleich über grosse geographische und soziale Distanzen.

Doch wie erreicht man Millionen armer Menschen, ohne Vertriebsnetz, ohne Bankkonto, ohne Bürokratie?

Von der Mikrofinanzbank zum Telko-Giganten

Zunächst arbeitete MicroEnsure mit Mikrofinanzbanken zusammen, die ihren Kreditnehmern automatisch eine Versicherung einbetteten: ein klassisches B2B2C-Modell also. Ab 2009 erkannte Leftley das Potenzial von Mobilfunkanbietern. «Jeder, egal wie arm, hat ein Handy. Und jeder vertraut seinem Telko, weil er jeden Tag Guthaben kauft und es funktioniert.»

Die Idee: Telkos boten Versicherung als Bonus für besonders loyale Kunden an. Wer regelmässig Guthaben auflud, bekam kostenlos eine Lebensversicherung. Ergebnis: 20 Millionen neue Versicherte in nur 140 Tagen, was wahrscheinlich das am schnellsten wachsende freiwillige Versicherungsprodukt weltweit ist.

Versicherung als Loyalty-Booster, nicht als Produkt

«Telkos wollen keine Versicherung verkaufen. Sie wollen ein besserer Telko sein», erklärt Leftley. Versicherungen dienen als Differenzierungsmerkmal, ähnlich wie Bonuspunkte, nur mit sozialem Mehrwert. Der Clou: Die Versicherung wird nicht als Fremdprodukt vermarktet, sondern als zentraler Bestandteil der Marke.

Vom globalen Süden in den Norden: Embedded Insurance für alle

Die Erfahrungen aus Afrika und Asien inspirieren heute auch Produkte in Europa und den USA. Mit seinem zweiten Unternehmen, MIC Global, entwickelte Leftley Mikroversicherungen für den westlichen Alltag:

  • Paket gestohlen? Automatische Entschädigung via Video-Türklingel.
  • Essen zu spät geliefert? «Food is late – food is free.»
  • Regentag im Urlaub? 200 Euro Entschädigung per App.

Die Logik: kleine, häufige Schäden automatisch regulieren, um Vertrauen in das System «Versicherung» aufzubauen. «Wenn Leute spüren, dass Versicherung funktioniert, sind sie auch bereit, für Katastrophenfälle zu zahlen», so Leftley.

Migration absichern: Versicherungen für Geflüchtete

Mit seinem neuesten Projekt Migrasure geht Leftley noch einen Schritt weiter: In Kooperation mit ARC Venture Studio baut er eine Versicherung für Geflüchtete in Europa auf. Sie deckt zentrale Hürden beim Übergang in ein eigenständiges Leben ab, beispielsweise Kautionen, Mietausfall oder Schäden in der Wohnung. Das Ziel: Vorurteile von Vermietern abbauen, Kommunen entlasten und Integration erleichtern.

Vier Erfolgsfaktoren für B2B-Partnerschaften

Leftleys Rezept für skalierbare Mikro- und Embedded-Produkte:

  1. Viele Kunden: Partner müssen grosse Reichweite haben.
  2. Hohe Nutzungshäufigkeit: Je öfter ein Kunde die Kernleistung nutzt, desto größer das Vertrauen in die Marke.
  3. Einfache Zahlungswege: Prepaid-Guthaben, Mobilwallets, digitale Konten.
  4. Relevantes Geschäftsproblem lösen: Loyalität, Differenzierung, Kundengewinnung.

«Die besten Partnerschaften entstehen, wenn der Partner gar keinen Cent Provision will – weil die Versicherung ein echtes strategisches Problem löst.»

«Ich glaube an Kapitalismus mit Sinn»

Ob in Nigeria, Indonesien oder Deutschland, Leftleys roter Faden bleibt: soziale Wirkung und wirtschaftliche Tragfähigkeit müssen Hand in Hand gehen. «Ich bin Sozialunternehmer. Aber ohne Gewinn gibt es keine Investoren, keine Skalierung, keine Wirkung.»

Was bleibt?

Richard Leftley hat gezeigt, dass Versicherung mehr sein kann als ein notwendiges Übel, wenn sie einfach, fair und sinnvoll eingebettet wird. Sein Modell ist keine Entwicklungshilfe, sondern Marktwirtschaft mit Herz. Und vielleicht liegt darin die eigentliche Zukunft der Branche.

Binci Heeb

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