Fintech-Risiken übersteigen Versicherungsleistungen: Warum Schweizer Startups mit Deckungslücken konfrontiert sind
26 September, 2025 | Aktuell Allgemein
Die Fintech- und Web3-Szene in der Schweiz boomt, doch in Sachen Versicherungen hinkt die Innovation hinterher. In diesem Interview erklärt Simon, warum Standard-Berufshaftpflicht- und Cyber-Versicherungen für Fintechs oft ungeeignet sind, wie Boutique-Anbieter wie Elmore massgeschneiderte Lösungen entwickeln und warum eine frühzeitige Absicherung der Deckung für langfristiges Wachstum entscheidend ist.
thebrokernews spricht mit Simon Gilbert, Geschäftsführer von Elmore Insurance Brokers Limited.
Simon, fangen wir mit dem grossen Ganzen an: Wie würden Sie die aktuelle Versicherungslandschaft für Fintechs in der Schweiz beschreiben, insbesondere in Bezug auf Berufshaftpflicht (PI/E&O) und Cyberrisiken?
Die Schweiz verfügt über ein hochinnovatives Fintech- und Web3-Ökosystem, aber der Versicherungsmarkt hat mit dem Tempo des Wandels nicht Schritt gehalten. Während Berufshaftpflicht- und Cyberversicherungen theoretisch leicht verfügbar sind, basieren die angebotenen Policen in der Praxis oft auf traditionellen Finanzdienstleistungen oder Unternehmensvorlagen. Das bedeutet, dass die besonderen Risiken von Fintechs – von algorithmischen Entscheidungsprozessen über API-Schwachstellen bis hin zur Krypto-Verwahrung und Regulierungstechnologie – nicht immer angemessen berücksichtigt werden. Das Ergebnis ist eine uneinheitliche Landschaft: Die Kapazitäten sind vorhanden, aber die Komplexität der Versicherungsdeckung hinkt den entstehenden Risiken hinterher.
Schwergewichte wie Zurich, Chubb, AXA, AIG, Hiscox oder Berkley sind alle in diesem Bereich vertreten. Wo liegen aus Ihrer Sicht die Stärken dieser etablierten Akteure und wo ihre Schwächen in Bezug auf Fintechs?
Diese etablierten Versicherer sind aufgrund ihrer Finanzkraft, Markenbekanntheit und bewährten Zahlungsfähigkeit von unschätzbarem Wert. Ihre Underwriting-Rahmenbedingungen basieren jedoch oft auf veralteten Risikomodellen. Für Fintechs, die in Web3, Embedded Finance oder KI-gestützte Dienste vorstossen, sind diese Modelle nicht immer flexibel genug. Die Herausforderung besteht darin, dass standardisierte Policen kritische Risiken – wie Smart-Contract-Ausfälle oder Krypto-Kriminalität – ausschliessen können, wodurch Fintechs ein falsches Vertrauen in ihren Versicherungsschutz entwickeln.
Viele Versicherer bewerben modulare PI- und Cyber-Produkte, aber ihre Risikoprüfung bleibt oft sehr konservativ. Wo stossen Fintechs in der Praxis am häufigsten auf Hindernisse oder entdecken schmerzhafte Deckungslücken?
Wir beobachten immer wiederkehrende Probleme in folgenden Bereichen:
- Technologiespezifische Ausschlüsse (z. B. Verluste im Zusammenhang mit KI-Fehlern, Programmierfehlern oder Smart Contracts).
- Kriminalität und Betrug (insbesondere Social Engineering oder Krypto-Diebstahl).
- Regulatorische Deckung (FINMA-Richtlinien, PSD2 und MiCA in der EU).
- Incident Response (Support-Services verfügen oft nicht über echte Fintech- oder Krypto-Expertise).
Die Lücke entsteht, weil Fintechs eine vorausschauende und keine rückblickende Versicherung benötigen.
Elmore positioniert sich als Boutique-Spezialist für Fintechs und Insurtechs. Wie unterscheidet sich Ihr Ansatz von dem großer Makler wie WTW oder Marsh?
Wir sind klein genug, um schnell zu agieren, aber global genug, um Zugang zum gesamten Lloyd’s- und Unternehmensmarkt zu haben. Unser Alleinstellungsmerkmal ist, dass wir Produkte rund um Fintech-Risiken entwickeln, anstatt zu versuchen, traditionelle Deckungen nachzurüsten. Wir setzen uns mit den Versicherern zusammen, erklären ihnen die Technologie und entwickeln Lösungen, die zukünftige Risiken antizipieren. Ein globaler Makler mag Grösse bieten, aber eine Boutique wie Elmore bietet Tiefe, Präzision und Fokus, gepaart mit einem hochwertigen Service.
Sie arbeiten eng mit den Versicherern von Lloyd’s zusammen, einem Namen, der weltweit Gewicht hat. Welche konkreten Vorteile bringt dies für ein Fintech-Startup in Zürich oder im Crypto Valley der Schweiz?
Bei Lloyd’s findet Innovation im Versicherungsbereich zuerst statt. Für ein Fintech-Unternehmen in der Schweiz bedeutet der Zugang zu Lloyd’s den Zugang zu globalen Kapazitäten und spezialisierten Versicherern, die bereits Krypto-Verwahrungen in Hongkong, KI-Kreditgeber in den USA oder Neobanken in Grossbritannien versichern. Dadurch können Schweizer Startups auf internationale Best Practices und modernste Formulierungen zurückgreifen, was ihnen einen Wettbewerbsvorteil bei der Sicherung von Partnerschaften, Investoren und behördlichen Genehmigungen verschafft.
Elmore bietet auch eine Cybersicherheitszertifizierung an. Warum ist diese zusätzliche Ebene heute so wichtig für die Risikobewertung und die Festlegung von Prämien?
Eine Cyberversicherung ist nur so stark wie die Widerstandsfähigkeit des Versicherten. Die Zertifizierung schliesst die Lücke zwischen IT-Sicherheit und Versicherungsdeckung. Durch die Vorabüberprüfung der Sicherheitslage helfen wir unseren Kunden nicht nur, bessere Prämien zu erzielen, sondern auch die Wahrscheinlichkeit von Schadensfällen zu verringern. In der heutigen Zeit, in der ein einziger Sicherheitsverstoss die Finanzierung oder Lizenzierung gefährden kann, schafft diese Ebene Vertrauen bei Vorständen, Investoren und Aufsichtsbehörden gleichermassen.
Sprechen wir über die grössten Risiken: Welche Risiken sind für Schweizer Fintech-Unternehmen derzeit am schwierigsten zu versichern: Krypto-Assets, Zahlungsdienste, PSD2-Compliance?
Krypto-Assets bleiben aufgrund ihrer Volatilität, Verwahrungsrisiken und des lückenhaften regulatorischen Umfelds die grösste Herausforderung. Zahlungsdienste liegen knapp dahinter. PSD2 hat zwar Türen für Innovationen geöffnet, aber auch komplexe Haftungsketten geschaffen, die eine massgeschneiderte Deckung erfordern, um effektiv reagieren zu können. Compliance-Risiken sind versicherbar, jedoch nur, wenn Unternehmen robuste Governance- und Sicherheitsrahmenbedingungen nachweisen können.
Viele Startups unterschätzen den Zeitfaktor, wenn es um Versicherungen geht. Warum sollten Fintech-Unternehmen bereits heute Versicherungsschutz für Risiken abschliessen, die erst 2026 ihren Höhepunkt erreichen werden?
Versicherungsmärkte können sich schnell verändern. Wenn Sie warten, bis die Risiken offensichtlich sind oder bis die Regulierung Sie dazu zwingt, kann die Versicherungskapazität eingeschränkt und die Prämien strafend sein. Durch den frühzeitigen Abschluss einer Versicherung sichern sich Fintechs Versicherungsschutz, bauen Beziehungen zu Versicherern auf und schaffen einen stabilen Rahmen für den Risikotransfer, der mit ihnen wächst. Es geht darum, die zukünftige Versicherbarkeit zu sichern, nicht nur heute ein Häkchen zu setzen.
Gibt es einen bedeutenden Unterschied in den Risikoprofilen zwischen traditionellen Fintechs wie Neobanken und der neueren Welle von Akteuren wie Krypto-Plattformen oder Insurtechs?
Ja. Neobanken sind nach wie vor mit Risiken konfrontiert, die im Bankwesen begründet sind, wie Zahlungen, Betrug, Datenverstösse. Krypto-Plattformen hingegen sind mit existenziellen Risiken konfrontiert: Verwahrung digitaler Vermögenswerte, Marktvolatilität und Reputationsschäden durch Ereignisse wie Hackerangriffe auf Börsen. Insurtechs liegen irgendwo dazwischen, da ihre Risiken eher mit der Betriebshaftpflicht und der Technologie-E&O zu tun haben. Jedes Profil erfordert eine andere Betrachtungsweise, und ein einheitlicher Ansatz funktioniert nicht.
Betrachten wir speziell die Schweiz: Wie sieht die Markteinführungsstrategie von Elmore hier aus?
Wir sehen die Schweiz als Drehscheibe für Fintech- und Web3-Innovationen. Unsere Strategie besteht darin, Partnerschaften mit Brokern, Beschleunigern, Rechtsberatern und Risikokapitalfonds einzugehen, um Startups frühzeitig in ihrer Entwicklung zu erreichen. Indem wir Versicherungen in das Wachstumssystem integrieren, anstatt sie als nachträglichen Einfall zu verkaufen, positionieren wir uns als vertrauenswürdiger Partner und nicht nur als Anbieter von Policen.
Sehen Sie Raum für Partnerschaften mit Schweizer Versicherern oder werden Sie sich weiterhin ausschliesslich auf internationale Märkte und Kapazitäten konzentrieren?
Beides. Schweizer Versicherer bringen lokale Expertise, Reputation und regulatorische Übereinstimmung mit. Bei neuen Risiken wie Kryptowährungen oder KI sind jedoch oft internationale Kapazitäten unerlässlich. Wir wollen die Stärken kombinieren: lokale Kenntnisse mit globaler Reichweite.
Fünf Jahre im Voraus: Wie wird sich Ihrer Meinung nach die Nachfrage nach massgeschneiderten PI- und Cyber-Lösungen bei Fintechs entwickeln?
Die Nachfrage wird exponentiell wachsen. Mit der zunehmenden Verbreitung von KI, Quantencomputern und Web3 werden die Regulierungsbehörden eine grössere Rechenschaftspflicht verlangen. Investoren werden den Risikotransfer als Teil der Sorgfaltspflicht erwarten. Fintechs, die Versicherungen als strategische Infrastruktur betrachten – und nicht als Nebensache –, werden besser aufgestellt sein, um erfolgreich zu sein.
Eine persönliche Frage: Was motiviert Sie, in dieser Nische zu arbeiten, in der selbst einige der grössten Versicherer zögern, mutige Schritte zu unternehmen?
Ich war schon immer fasziniert davon, wie Innovationen sowohl Chancen als auch Risiken schaffen. Fintechs und Web3-Pioniere schreiben das Finanzsystem neu. Es ist sehr befriedigend, ihnen zum Erfolg zu verhelfen, indem ich Schutzmassnahmen entwickle, die es zuvor noch nicht gab. Es geht darum, Fortschritt verantwortungsbewusst zu ermöglichen.
Zum Schluss noch eine Frage: Welchen Rat würden Sie einem Schweizer Fintech-Gründer geben, der gerade erst anfängt und vielleicht versucht ist zu denken: «Versicherungen können warten»?
Versicherungen sind keine Kosten, sondern ein Wachstumsmotor. Ohne sie kommen Partnerschaften zum Stillstand, Investoren zögern und Aufsichtsbehörden stellen Fragen. Je früher Sie sich damit befassen, desto mehr Kontrolle haben Sie über Bedingungen, Preise und Umfang. Mein Rat ist einfach: Behandeln Sie Versicherungen wie Compliance oder Cybersicherheit, als integralen Bestandteil Ihrer Grundlage, nicht als etwas, das man später gerne hätte.
Die Fragen hat Binci Heeb gestellt.
Simon Gilbert ist CEO und Gründer von Elmore Insurance Brokers, einem Spezialunternehmen, das sich dem Schutz von Unternehmen vor neuen Bedrohungen und Risiken im Zusammenhang mit neuen Technologien widmet. Als Pionier im Bereich Cyber- und Digitalrisikoversicherungen hat Simon 25 Jahre lang innovative Lösungen für Finanzinstitute und Zahlungsdienstleister entwickelt, die sich mit komplexen regulatorischen und operativen Risiken auseinandersetzen müssen. Unter seiner Führung hat sich Elmore zu einem vertrauenswürdigen Partner für Fintech-Unternehmen, Digital Asset-Firmen und Finanzdienstleistungsinnovatoren in ganz Europa und darüber hinaus entwickelt. Simons Fachwissen umfasst Berufshaftpflicht, Cyber-Haftpflicht, Kriminalität und regulatorische Absicherung, wobei er sich vorausschauend auf die Herausforderungen konzentriert, die durch Web3, digitale Vermögenswerte und KI-gesteuerte Geschäftsmodelle entstehen. Mit seiner fundierten Marktkenntnis und seinen engen Beziehungen zu Lloyd’s und führenden Versicherern hat Simon Elmore an die Spitze der Versicherung des Finanzökosystems von morgen gebracht und hilft Kunden dabei, Risiken zu managen, während sie die Zukunft des Finanzwesens gestalten. |
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