Wenn Alter zum Nachteil wird — aber anders gehen könnte
2 Dezember, 2025 | Aktuell Allgemein
In der Schweiz bedeutet das Erreichen der 55 oft das Ende der Karriere. Darüber hat thebrokernews bereits am 18.11.2025 berichtet. Wer lange geführt, gebaut und Krisen gemeistert hat, gerät plötzlich ins Abseits und zwar nicht wegen fehlender Leistung, sondern wegen hoher Lohnkosten. Während wir hier auf massiven Know-how-Verlust setzen, zeigt ein anderes Land, wie man Ältere mithilfe von künstlicher Intelligenz nicht ausrangiert, sondern digital einbindet.
In China startet die Regierung eine landesweite Initiative, um ältere Menschen systematisch an künstliche Intelligenz heranzuführen. In Seniorenklubs lernen Pensionierte, wie sie KI-gestützte Anwendungen nutzen können: Sie bearbeiten Fotos, erstellen Videos oder nutzen KI-Assistenten, um ihren Alltag zu organisieren. Für viele geht es dabei nicht nur um praktische Unterstützung, sondern auch um soziale Teilhabe, geistige Aktivität und Selbstwirksamkeit. China verfolgt einen klaren Plan: Bis 2030 soll künstliche Intelligenz fester Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens sein und zwar auch dort, wo man in Europa meist nur von «digitaler Rückständigkeit» spricht.
Damit zeigt China eine Perspektive, die in Europa bislang kaum gedacht wird: Alter und Technologie schliessen sich nicht aus. Im Gegenteil, denn KI kann älteren Menschen Zugang zu neuen Aufgaben und Rollen eröffnen. Statt Rückzug gibt es Teilnahme, statt Stillstand Entwicklung.
Der Schweizer Weg: Erfahren, aber aussortiert
In der Schweiz sieht die Realität oft anders aus. Menschen ab Mitte fünfzig, die Unternehmen aufgebaut, Teams geführt und Krisen bewältigt haben, geraten plötzlich ins Abseits. Nicht, weil sie nicht mehr leistungsfähig wären, sondern weil sie in Statistiken als «Kostenrisiko» gelten. Wer Erfahrung, Netzwerk und Loyalität mitbringt, wird zunehmend zum Problem, vom strategischen Asset zur Excel-Zeile. In Konzernen, Banken und Beratungen wird nicht die Funktion ersetzt, sondern die teure Person. Der Verlust von Wissen, Stabilität und Mentoring taucht in keiner Bilanz auf und bleibt doch spürbar.
Das Paradoxe ist: Die Schweiz altert rasant. Bis 2035 wird fast ein Drittel der Bevölkerung über 65 sein. Gleichzeitig klagen Arbeitgeber über Fachkräftemangel. Doch genau jene, die kompetent, vernetzt und einsatzfähig wären, werden aus dem Erwerbsleben gedrängt und dies oft 10 bis 15 Jahre vor dem regulären Rentenalter. Wer mit Mitte fünfzig den Job verliert, trägt ein hohes Risiko, dauerhaft aus dem System zu fallen.
Wie Alter und KI sich ergänzen könnten
Was in China gelingt, kann auch in der Schweiz eine Denkrichtung eröffnen: Es geht nicht um die Frage, ob ältere Arbeitnehmende mit digitaler Technologie umgehen können. Die meisten von ihnen lernen längst neue Tools, führen digitale Teams und bringen Erfahrung in agile Prozesse ein. Die eigentliche Frage lautet: Warum nutzen wir das nicht systematisch?
Statt Entlassung wären Modelle denkbar, die Wissen und Erfahrung sichern und gleichzeitig Kosten senken. Generationstandems könnten eine erfahrene Fachkraft mit reduzierter Arbeitszeit mit einer jüngeren Mitarbeitenden verbinden. Wissen ginge nicht über PDFs verloren, gemeinsame Arbeit wäre Trumpf. KI könnte Routinearbeiten übernehmen, während erfahrene Menschen ihre Stärken bei Koordination, Krisenbewältigung, Führung und Mentoring einbringen.
So, wie China Älteren den Zugang zur digitalen Welt durch KI ermöglicht, könnten Schweizer Unternehmen Älteren durch KI neue Rollen eröffnen: als Wissensanker, Ausbildende, Projektbegleiterinnen oder digitale Mentoren.
Altersdiskriminierung ist kein Randthema, sondern ein Risiko
Wer Menschen über 55 aus dem Arbeitsleben drängt, verliert mehr als Produktivität. Es geht um Stabilität, Unternehmenskultur, Wissensmanagement und die Fähigkeit, in Krisen Orientierung zu geben. In einer Welt, die zugleich digitaler und komplexer wird, steigt der Wert von Erfahrung und nicht nur der von Effizienz.
Die Schweiz steht vor einem Paradox: Immer mehr ältere Menschen wollen und können arbeiten, aber immer weniger dürfen. Wir sprechen von Innovation und Digitalisierung, aber ignorieren jene, die Brücken bauen könnten zwischen Technik, Erfahrung und Gesellschaft.
Die Zukunft gehört nicht nur den Jungen und auch nicht nur den Technologien, sondern der Kombination aus Wissen, Erfahrung und digitaler Kompetenz. Das Narrativ muss sich ändern: Nicht «zu alt», sondern «zu wertvoll, um verloren zu gehen».
Damit auch ältere Arbeitnehmer 55+ von der KI profitieren können, veranstaltet thebrokernews regelmässig Webinare. Bei Interesse schreiben Sie bitte an: binci.heeb@thebrokernews.ch.
Binci Heeb
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