Europas Weckruf: General Trinquand über Risiken, Verteidigung und Werte

29 Juli, 2025 | Aktuell Allgemein Nicht kategorisiert Video
Europas Weckruf: General Trinquand über Risiken, Verteidigung und Werte.
Europas Weckruf: General Trinquand über Risiken, Verteidigung und Werte.

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In diesem Interview warnt General Dominique Trinquand vor den vernetzten Schwachstellen Europas. Unterseekabel sind das Rückgrat unserer digitalen Welt, Klimawandel und Migration verändern Grenzen und Mächte, und die europäische Verteidigung hängt immer noch von den USA ab. Gleichzeitig fordert der ehemalige Chef der französischen UN‑Mission mehr Dialog, Bildung und Mut zur eigenen Verteidigungsfähigkeit.

Vom kalten Krieg zu einer multipolaren Welt

Trinquand stellt gleich zu Beginn klar, dass die globale Ordnung im Umbruch ist. Nach dem Fall der Sowjetunion prägten zwei Supermächte das Geschehen, doch mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und dem Aufstieg der BRICS‑Staaten wuchs der Druck auf die westliche Dominanz. «Putin will die Welt ändern», warnt der General, während China und andere Staaten mit neuen Handelsrouten und Ressourcenprojekten Einfluss gewinnen. Migration, Drogenhandel und der internationale Warenstrom verflechten Kontinente stärker denn je. China produziert etwa die Hälfte seiner Industriegüter für westliche Kunden. Gleichzeitig drängen junge Arbeitskräfte aus Afrika nach Europa, weil der alte Kontinent demografisch altert.

Klimawandel: Grenzen verschieben sich, Schengen wird zum Limes

Der Klimawandel verstärkt diese Dynamik. Während Kolonialmächte im 19. und 20. Jahrhundert Grenzen willkürlich zogen, akzeptieren Staaten sie heute als Grundlage für Dialoge, etwa das Schengen‑Regime, das Trinquand mit den Limes des Römischen Reichs vergleicht. Der General prognostiziert, dass der schmelzende Nordpol neue Seewege öffnet und Extremwetter zu Migration zwingt. Europa müsse daher seine Aussengrenzen sichern und dennoch offen bleiben für den Austausch: «Ein Krieg entsteht, wenn es keine Grenzen gibt, wie zwischen Israel und Palästina.»

Handelsströme, Migration und Drogen

Als wesentlichen Wandel bezeichnet Trinquand die drei «Ströme», die unsere Welt prägen:

  • Handel: Chinas «Neue Seidenstrasse» versorgt westliche Märkte, Europas Wirtschaft hängt von chinesischen Produkten ab.
  • Migration: Junge Menschen aus Afrika und Südamerika wandern in alternde Gesellschaften in Europa und Nordamerika aus.
  • Drogen: Kokain aus Südamerika und Opiate aus dem Nahen Osten gelangen in westliche Konsumzentren.

Diese Bewegungen seien strategisch. Europa müsse lernen, sie zu steuern, statt nur über Produzenten zu klagen.

Unterseekabel: Achillessehne der Digitalisierung

Für Aufsehen sorgt Trinquands Einschätzung der Internetinfrastruktur: Rund 97 Prozent aller globalen Daten reisen durch Unterseekabel. Während sich Medien oft auf Satelliten konzentrieren, erklären General und Moderator, dass Kabel wegen der geringeren Verzögerung bevorzugt werden. Kabelschiffe verlegen immer mehr Leitungen, und Frankreich besitzt sogar zwei Drittel der weltweit eingesetzten Kabelschiffe. Dennoch gebe es keine absolute Sicherheit: «Ein Kabel zu kappen ist einfach, doch dann schneidet man auch die eigene Kommunikation ab», warnt Trinquand. Mehrere redundante Routen und Satelliten könnten Unterbrechungen begrenzen. Trotzdem bleibe das Risiko. Er rät Unternehmen, den Ernstfall zu proben: «Schalten Sie Ihr System ab und prüfen Sie, wie Sie weiterarbeiten.»

Europäische Verteidigung: «Wir sind verwöhnte Kinder»

Im Kapitel zur europäischen Verteidigung findet der General deutliche Worte. Er erinnert an Präsident Macrons Kritik an der «hirntoten» NATO und hält fest, dass die Allianz dank Russlands Angriff auf die Ukraine wiederbelebt wurde. Dennoch sieht er Abhängigkeiten: 60 Prozent der militärischen Ausrüstung in Europa stammen aus den USA. In seinen Augen lähmt das 27‑Nationen‑Gefüge schnelle Entscheidungen, anstatt auf den Ausgang der US‑Wahl zu hoffen, hätten Europäer ihre eigene Verteidigung aufbauen müssen. Paradoxerweise hoffte Trinquand auf einen Wahlsieg Donald Trumps, weil dies Europas Politikern die Dringlichkeit vor Augen führen würde.

«Wir hatten 30 glorreiche Jahre des Wachstums, gefolgt von 30 faulen Jahren. «Wir sind verwöhnte Kinder“» sagt er. Europa müsse in gemeinschaftliche Rüstungsprojekte wie KNDS und den MGCS‑Kampfpanzer investieren und die Bevölkerung für den Militärdienst gewinnen. Jungen Offizieren empfiehlt er eine Haltung aus Ethik, Ausbildung und physischer Härte, denn «das Leben ist ein Kampf».

Künstliche Intelligenz und ethische Kriegsführung

Die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten zeigen laut Trinquand, dass Drohnen, robotische Systeme und KI‑gestützte Zielwahl den Kampf verändern. Während das US‑Militär Milliarden in neue digitale Systeme steckt, plädiert er für Vorsicht: «Der Mensch muss immer hinter dem System stehen; die Entscheidung darf nicht die Maschine treffen». Er warnt vor einer «Terminator»-Fantasterei, bei der autonome Waffensysteme ohne menschliche Kontrolle agieren.

Der General berichtet von Piloten, die mithilfe von KI Ziele identifizieren, aber am Ende den Abzug selbst betätigen. Solche Entscheidungen seien belastend, betont er, und fordern eine robuste ethische Ausbildung. Gleichwohl müssen europäische Armeen die neuen Technologien beherrschen, um gegenüber autoritären Staaten nicht ins Hintertreffen zu geraten.

Privatisierung des Krieges – Starlink und Co.

Trinquand sieht die wachsende Macht privater Unternehmen im Sicherheitsbereich kritisch. Elon Musk konnte den ukrainischen Streitkräften dank Starlink schnelle Datenverbindungen liefern, aber er drohte auch, den Dienst bei bestimmten Angriffen zu sperren. «Wie kann ein einzelner Mann über das Schicksal eines Landes entscheiden?», fragt der General und erinnert daran, dass die US‑Regierung die Kosten trug. Europa brauche eigene Satellitenprogramme wie Galileo, um nicht von privaten Akteuren abhängig zu werden.

Europas Stellung bei KI und Cloud

Auf die Frage, ob Europa den Wettlauf um künstliche Intelligenz und Cloud‑Technologien verliert, antwortet Trinquand differenziert: Die EU habe spät begonnen, verfüge aber über erstklassige Mathematiker und Quantenforscher. Die EU‑KI‑Verordnung sei weltweit führend in der Regulierung, doch bei Investitionen liege Europa hinter den USA zurück. In Sachen Cloud warnte er vor übermässiger Abhängigkeit von US‑Anbietern und chinesischen Diensten. Französische Anbieter wie OVH oder Orange spielten bisher nur eine Nebenrolle. Um Souveränität zu wahren, müsse Europa eigene Infrastrukturen entwickeln.

Werte, Bildung und Resilienz

Trinquand schliesst das Gespräch mit einem leidenschaftlichen Plädoyer für Bildung. Anhand persönlicher Geschichten – sein Vater wurde in Algerien getötet, sein Grossvater überlebte Auschwitz – betont er, wie hart die europäische Freiheit erkämpft wurde. Philosophieunterricht und Geschichtskenntnis seien notwendig, um Fake News und Propaganda zu erkennen.

Er wendet sich gegen eine «woke» Haltung, die alles relativiere, und gleichzeitig gegen totalitäre Tendenzen. Junge Europäer müssten verstehen, dass ihre Freiheiten nicht selbstverständlich sind. «Bringt Kinder in die Welt, sie werden sie verändern», fordert er und erinnert daran, dass Generationen vor uns für Demokratie und Wohlstand gekämpft hätten.

Auch in Zeiten sozialer Medien rät der General dazu, der Versuchung einseitiger Kanäle zu widerstehen. Ob bei Protesten an Eliteuniversitäten oder in der internationalen Politik. Zuhören und der Dialog mit Andersdenkenden seien unverzichtbar, selbst wenn es unbequem wird.

Frieden stiften und die UNO reformieren

Als ehemaliger UN‑Diplomat verteidigt Trinquand die Vereinten Nationen. Trotz berechtigter Kritik sei die UNO ein einzigartiges Forum, in dem 193 Staaten täglich miteinander sprechen können. Er fordert eine Reform des Sicherheitsrats, eine Ausweitung der ständigen Sitze und eine Einschränkung des Vetorechts. Wer eine Karriere in internationalen Organisationen anstrebt, solle die kulturelle Vielfalt annehmen, ohne naiv zu sein.

«Die Zukunft ist nur die organisierte Gegenwart», zitiert Trinquand Antoine de Saint‑Exupéry. Wenn Europa seine Werte verteidigt, seine Verteidigungsfähigkeit ausbaut und den Dialog sucht, könnte es Vorbild für andere Regionen bleiben.

Dieser Artikel fasst die zentralen Aussagen von General Dominique Trinquand zusammen: Er erklärt, warum Europas digitale Infrastruktur über Unterseekabel so verwundbar ist, beschreibt die neuen geopolitischen Machtverhältnisse und fordert mehr Eigenständigkeit bei Verteidigung und Technologie. Außerdem hebt er die Bedeutung von Bildung und Wertevermittlung hervor, um Fake News und Propaganda zu begegnen.

Binci Heeb

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