Felssturz in Blatten: Wie Drohnen Versicherern und Forschern den Überblick verschaffen
10 Oktober, 2025 | Aktuell Allgemein
Nach dem verheerenden Felssturz im Walliser Blatten setzt die Schweizer Versicherungswirtschaft erstmals in grossem Stil Drohnen ein. Die hochauflösenden Aufnahmen der Schadenorganisation Erdbeben (SOE) zeigen nicht nur das Ausmass der Zerstörung, sondern helfen auch, schneller zu reagieren, Schäden zu dokumentieren und Lehren für die Zukunft zu ziehen.
Der Felssturz, der Ende Mai 2025 das Dorf Blatten im Lötschental traf, war kein plötzliches Ereignis. Über Jahre war der Berg bereits aktiv, erklärt Prof. Dr. Daniel Farinotti (ETH Zürich/WSL Sion) im Video. «Der Berg war über Jahre schon sehr aktiv im Steinschlag. Die Steine bedeckten den Gletscher darunter, der dadurch vorgestossen ist. Und an diesem Tag kam der letzte Kick, der Berg hat sich nochmals massiv bewegt und das ganze Material ins Tal befördert.»
Auf den Drohnenaufnahmen ist deutlich zu erkennen, wie gross die Rutschung tatsächlich war: Der frühere Wald und die Wiesen sind verschwunden, die Sturzbahn ist eine vegetationslose Schneise, ein trostloses, aber präzises Bild der Naturgewalt.
Ein See aus Schutt und Wasser
Die Aufnahmen zeigen auch eine sekundäre Katastrophe: Der gewaltige Schuttkegel hat den Fluss Lonza gestaut und so einen See entstehen lassen. «Was man auf der rechten Seite sieht, sind Häuser, die jetzt im Wasser stehen. Diese Gebäude blieben beim Sturz selbst unbeschädigt, wurden aber geflutet, weil der Sturz den Fluss aufgestaut hat,» so Farinotti.
Die Folgen sind komplex: Öltanks steigen auf, Heizungen lecken, persönliche Gegenstände gehen verloren. Und die Frage nach dem Wiederaufbau rückt bereits in den Fokus.
Drohnen im Einsatz – innerhalb von 48 Stunden
Die konventionelle Schadenbeurteilung war in Blatten nicht mehr möglich. Teile der Gemeinde waren durch den Schuttkegel vom Rest des Tals abgeschnitten. Hier kam die Schadenorganisation Erdbeben (SOE) zum Einsatz so Gabor Jaimes, Dipl. Ing. ETH Fachverantwortlicher Elementarschadenversicherung beim Schweizerischen Versicherungsverband (SVV). «Nachdem wir den Auftrag erhalten haben, konnten wir innerhalb von 48 Stunden im Einsatzgebiet sein», berichtet Thomas Kühni, Geschäftsleiter SOE. «Wir flogen die Häuser mit Drohnen ab, erfassten Fassaden und Dächer, damit unser Auftraggeber – der Elementarschadenpool – rasch einschätzen konnte, wie die Schadenbilder aussehen und ob sofortige Massnahmen nötig sind.»
Das Bildmaterial wurde anschliessend in eine webbasierte interaktive Karte integriert. Versicherer und Behörden konnten so auf einen Blick erkennen, welche Gebäude Totalschäden aufwiesen (rot markiert), welche nur verschmutzt oder leicht beschädigt waren (grün) und welche unversehrt blieben (gelb).
Digitalisierung der Schadenbearbeitung
Diese Methode ist nicht nur effizient, sondern schafft auch Transparenz und Nachvollziehbarkeit. Jedes Gebäude wird anhand seines EGID-Codes eindeutig identifiziert und bildet eine wichtige Grundlage für Versicherer, um Schäden korrekt zuzuordnen und zu dokumentieren.
«Wir können in der Karte direkt nach Adressen oder EGID suchen, ein Gebäude auswählen und sofort die dazugehörigen Fotos aufrufen», erklärt Kühni. «So sehen wir etwa, ob ein Dach Trümmerschäden hat oder nur verschmutzt ist.»
Koordination in der Gefahrenzone
Der Drohneneinsatz war nur dank enger Abstimmung mit dem Regionalführungsstab Lötschental und der Flugsicherung möglich «Wir mussten den Flugbetrieb mit der Air Zermatt und der Armee koordinieren, um keine Risiken einzugehen», so Kühni «Die Sicherheit der Einsatzkräfte hatte oberste Priorität.» Diese Zusammenarbeit zwischen Versicherern, Behörden, Armee und Forschungseinrichtungen gilt heute als beispielhaft für ein modernes Katastrophenmanagement.
Versicherer, Forschung und Behörden lernen gemeinsam
Die Drohnendaten liefern nicht nur den Versicherern präzise Schadensbilder, sondern sind auch für Wissenschaft und Behörden von hohem Wert. Sie helfen, Prozesse wie Murgänge, Hangrutsche oder Schuttumlagerungen zu analysieren und präventive Massnahmen besser zu planen. «Dass wir als Schadenorganisation Erdbeben auch für Elementarschäden eingesetzt werden können, zeigt, dass unser Konzept funktioniert», sagt der SOE-Leiter. «Wir konnten schnell, effizient und zielgerichtet Aufnahmen liefern und so einen Beitrag zur Resilienz leisten.»
Blick nach vorn: Daten als Werkzeug der Resilienz
Der Felssturz von Blatten zeigt, wie Technologie und Versicherungspraxis zusammenfinden können. Die Digitalisierung der Schadenaufnahme spart Zeit, schützt Menschen und liefert wertvolle Erkenntnisse für den Wiederaufbau und die Prävention.
Für die Versicherungsbranche markiert der Einsatz in Blatten einen Wendepunkt: Von der klassischen Begutachtung hin zu einer datenbasierten, interaktiven Schadenanalyse und ist ein Modell, das in Zukunft bei Naturereignissen schweizweit Schule machen dürfte.
Binci Heeb
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