Gleich, aber anders – Warum Gendermedizin so wichtig ist
28 April, 2025 | Aktuell Nicht kategorisiert
Während die FutureHealth Basel-Konferenz 2025 die unterschiedlichsten Themen, von Longevity mit KI, mentale Gesundheit oder die Zukunft des Gesundheitssystems präsentiert, wurde auch über die Bedeutung der geschlechterspezifischen Unterschiede in der Medizin gesprochen. Prof. Dr. med. Carolin Lerchenmüller, Leiterin des Lehrstuhls für Gendermedizin an der Universität Zürich arbeitet in der kardiologischen Abteilung des Universitätsspitals und nannte Beispiele und Differenzen.
Wenn es um Symptome eines Herzinfarkts geht, denken viele noch immer an das klassische Männerbild: Brustschmerz, kalter Schweiss, dramatischer Zusammenbruch. Doch Frauen erleben Herzinfarkte oft anders: diffusere Beschwerden, Rücken- oder Kieferschmerzen, Atemnot. Carolin Lerchenmüller, Professorin für Gendermedizin, erklärte: «Das Wissen über diese Unterschiede ist da – aber es kommt zu selten in der Versorgung an.»
Ein System mit Männerbrille
Noch immer basieren rund 75 Prozent aller vorklinischen Studien auf männlichen Tieren und Zellen. Auch in klinischen Studien sind Frauen unterrepräsentiert. Die Folge: Medikamente wirken bei ihnen oft anders, Nebenwirkungen sind häufiger – werden aber nicht ausreichend erfasst. Gendermedizin heisst: biologische und soziale Geschlechtsunterschiede erkennen, verstehen und berücksichtigen. Und sie betrifft nicht nur Frauen, sondern auch Männer, bei denen zum Beispiel Depressionen oft nicht erkannt werden.
Zellbiologie ist nicht neutral
Das X-Chromosom trägt viele Immunfunktionen – Frauen mit zwei X-Chromosomen haben ein robusteres Immunsystem, neigen aber auch stärker zu Autoimmunerkrankungen. Diese Erkenntnisse sind entscheidend für die Entwicklung von Therapien. Auch die Medikamentenverarbeitung unterscheidet sich deutlich: von der Absorption bis zur Ausscheidung. Trotzdem werden Dosierungen oft nicht angepasst.



Dr. Antonella Santuccione Chadha widmet sich mit der Women’s Brain Foundation der geschlechterspezifischen Erforschung von Hirnkrankheiten und beantwortete Fragen zur Zukunft der Neurowissenschaften und das weibliche Gehirn als Kapital. Alexandra Helbling erzählte, wie Mut und mentale Stärke den Unterschied machen und sie Grenzen überwinden lassen. Schliesslich sprach der deutsche Arzt und Moderator Eckart von Hirschhausen, Gründer der Stiftung «Gesunde Erde – Gesunde Menschen», dass alle medizinischen und sonstigen Anstrengungen nicht helfen, wenn die Menschheit keine Sorge zur Erde trägt.
Das Beispiel Kardiologie: Wenn gleiche Behandlung nicht gerecht ist
In der Herzmedizin zeigt sich der Gender-Bias besonders deutlich. Lechner-Müller: «Frauen benötigen bei bestimmten Medikamenten nur die halbe Dosis für denselben Effekt – bekommen aber die gleiche wie Männer.» Das Risiko für Nebenwirkungen steigt. Gleichzeitig sind viele Risikofaktoren wie Bluthochdruck oder Diabetes bei Frauen mit höherem Folge-Risiko behaftet. Dennoch werden sie oft später oder weniger intensiv behandelt.
Mehr Daten, mehr Diversität, mehr Gerechtigkeit
Gendermedizin fordert nicht weniger als einen Paradigmenwechsel: Die Norm darf nicht mehr der 70-Kilo-Mann sein. Was es braucht, sind geschlechterspezifische Analysen, diversere Studiengruppen und ein Bewusstsein in Forschung und Praxis, dass Gleichbehandlung nicht automatisch gerecht ist.
Von der Nische zur Notwendigkeit
Noch vor wenigen Jahren galt Gendermedizin als Randthema. Heute zeigt sich: Wer sie ignoriert, riskiert Fehldiagnosen, Nebenwirkungen und Ineffizienz. Die gute Nachricht: Das Interesse steigt, die Lehrstühle mehren sich, und das Bewusstsein wächst.
Der Weg ist klar: Medizin muss differenzieren lernen
Es geht nicht darum, neue Schubladen zu schaffen, sondern darum, Unterschiede zu verstehen. Ob bei der Schmerztherapie, in der Onkologie oder bei psychischen Erkrankungen: Geschlecht spielt eine Rolle. Und es wird Zeit, dass wir beginnen, dieser Rolle gerecht zu werden. Denn nur wer Unterschiede kennt, kann Gleichwertigkeit schaffen.
Binci Heeb
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