Neue Prüfpflicht, alte Fragen
28 Juli, 2025 | Aktuell Allgemein
Seit über einem halben Jahr gilt für Versicherungsvermittler ein neues Prüfregime mit modularer Struktur und regelmässiger Rezertifizierung. Was die Reform verspricht und wo sie für Ärger sorgt.
Mit dem 1. Januar 2025 endete in der Schweiz die Ära der freiwilligen Selbstregulierung für Versicherungsvermittler. Wer künftig Policen vermittelt oder verkauft, muss klar definierte Prüfungen bestehen und sich alle zwei Jahre rezertifizieren lassen. Die neue Ordnung betrifft rund 35.000 Personen und ist eine der umfassendsten regulatorischen Veränderungen im Versicherungsbereich seit Jahren.
Herzstück der Reform ist ein modulares System: Alle Vermittler absolvieren zuerst das Grundlagenmodul «Generelle Fähigkeiten & Kenntnisse». Je nach Tätigkeit kommen Fachmodule wie Nicht-Leben, Leben oder Krankenzusatz oder Sonderbranchen wie Motorfahrzeug-Flotte oder Ernteausfall hinzu. Eine Zulassung für alle Sparten gibt es nur noch bei bestandener Prüfung in sämtlichen Modulen. Die Prüfungen finden meist online mit Videoüberwachung statt, das Modul Leben als mündliches Gespräch vor Ort.
Warum das Ganze? Qualität statt Grauzonen
Anlass für die Reform ist die Revision des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG). Sie schreibt vor, dass alle Vermittler ihre Fachkenntnisse nachweisen müssen. Diese sollen einheitlich, transparent und kontrollierbar sein. Ziel ist es, Beratungsqualität zu sichern, schwarze Schafe aus dem Markt zu verdrängen und das Vertrauen der Kundschaft zu stärken.
Der Branchenverband VBV hat die Prüfstandards entwickelt, die von der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht FINMA geprüft und genehmigt werden. Damit hat sich die Branche bewusst für eine Selbstverantwortung unter Aufsicht entschieden.
Flexibler, modularer – und potenziell fairer
Die neue Prüfarchitektur bringt mit Online-Prüfungen, die individuelle Lernrhythmen ermöglichen, durchaus Vorteile. Auch Module lassen sich gezielt auf Tätigkeitsprofile abstimmen und die Praxisnähe wird durch Fallbeispiele und mündliche Prüfungen gefördert.
Silvia Kljajic-Canale, Lehrgangverantwortliche Versicherungsbroking an der Fachschule für Wirtschaft und Informatik FSWI erklärt: «Die Umstellung war auch für uns als Bildungsanbieter anspruchsvoll – insbesondere in Bezug auf Organisation, Stoffstrukturierung und zeitliche Planung. Das neue orts- und zeitunabhängige Prüfungsformat gibt uns nun aber deutlich mehr Gestaltungsspielraum. Unsere aktuelle Klasse hat die erste Prüfung (Generelle Fähigkeiten und Kenntnisse) nach neuer Prüfungsordnung mit Bravour und ohne technische Probleme gemeistert. Somit erfolgte nach einer holprigen Übergangsphase ein ermutigender Start in die neue Prüfära.»
Für Kundinnen und Kunden bedeutet das: Wer ein VBV-Zertifikat vorzeigt, dokumentiert aktuelles Fachwissen nicht nur einmal, sondern regelmässig. Das schafft Vertrauen.
Kritik aus der Praxis: Unsicherheit, Aufwand, Kosten
Trotz der Vorteile werden in der Branche einige Kritikpunkte geäussert. Auf dem diesjährigen Versicherungsbroker Forum in Rüschlikon war der Tenor klar: Die Kommunikation zur Reform sei unzureichend gewesen. Ausserdem wird hinterfragt, ob die neuen Module für spezialisierte Tätigkeiten ausreichend praxisnah sind, insbesondere für Nischenvermittler und Innendienstmitarbeitende. Die Umstellung bringt für Unternehmen zudem organisatorische Herausforderungen und Kosten mit sich, da Prüfungen, laufende Zertifizierungen und Schulungen zusätzliche Belastungen darstellen. Daher fordern viele, das System flexibel und praxisorientiert weiterzuentwickeln.
Gerade die zusätzlich Rezertifizierungspflicht belastet, da selbst langjährige Fachkräfte alle zwei Jahre ihr Wissen formell unter Beweis stellen müssen. Für kleine Betriebe und Quereinsteiger kommen Prüfungsgebühren, Zeitaufwand und Schulungen als Einstiegshürden hinzu. Gut zu wissen ist, dass die Rezertifizierung, egal wie häufig, jedoch kostenpflichtig, wiederholt werden kann.
Zwischen Standardisierung und Spezialisierung: Der Spagat
Der Zielkonflikt liegt auf der Hand: Einheitliche Mindeststandards sichern Vergleichbarkeit, drohen aber an der beruflichen Realität vorbei zu reglementieren. Gleichzeitig ist eine hochgradige Differenzierung kaum administrierbar. Der Wunsch aus der Praxis: Mehr Flexibilität, weniger Doppelspurigkeit und eine modulare Weiterentwicklung mit Augenmass.
FINMA-Vertreterin Noémie Savaria betonte am Brokerforum: «Das System ist nicht in Stein gemeisselt.» Spielraum für Anpassungen sei da, vorausgesetzt, der Dialog zwischen Aufsicht, Branche und Bildungsanbietern bleibt offen.
Wandel mit Nachholbedarf
Die neue Prüfpflicht markiert einen tiefgreifenden Wandel in der Versicherungsvermittlung. Sie bringt Chancen für mehr Qualität, Transparenz und Vertrauen. Doch wie bei vielen Reformen liegt der Erfolg nicht im Regelwerk allein, sondern in seiner Umsetzung. Dafür braucht es neben Standards auch Praxistauglichkeit, gute Kommunikation und die Bereitschaft, nachzubessern. Denn Qualität zeigt sich nicht nur im Zertifikat, sondern im Alltag der Vermittlerinnen und Vermittler.
Binci Heeb
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