Overshoot Day: Leben auf Pump wird zur Normalität

19 September, 2025 | Aktuell Allgemein
Overshoot Day: Bereits am 7. Mai hatte die Schweiz sämtliche Ressourcen für 2025 aufgebraucht. V.l.n.r. Mathis Wackernagel + Carolin Roth (Moderatorin).
Overshoot Day: Bereits am 7. Mai hatte die Schweiz sämtliche Ressourcen für 2025 aufgebraucht. V.l.n.r. Mathis Wackernagel + Carolin Roth (Moderatorin).

Der Ökologe Mathis Wackernagel hat den Begriff des «ökologischen Fussabdrucks» geprägt. Im Gespräch anlässlich des Sustainable Switzerland Forums 25 der NZZ warnt er: Ressourcensicherheit wird die Schlüsselfrage der Zukunft sowohl für Staaten als auch für Unternehmen. Und sie entscheidet darüber, wer in einer Welt knapper Güter überlebt.

Am 7. Mai war Schluss, zumindest in der Schweiz. Bereits an diesem Tag hatte das Land sämtliche Ressourcen aufgebraucht, die ihm für das ganze Jahr zur Verfügung stehen würden, wenn es im Rahmen seiner ökologischen Kapazitäten leben würde. Der sogenannte Overshoot Day rückt jedes Jahr näher nach vorne. Weltweit fiel er 2023 Ende Juli.

«Seit den 1970er-Jahren verbrauchen wir mehr, als die Erde regenerieren kann. Trotzdem haben wir seither viermal mehr fossile Energie verbrannt als in der gesamten Menschheitsgeschichte davor,» erklärt Mathis Wackernagel, Mitbegründer des Global Footprint Network. Die Diagnose ist klar: Wir leben dauerhaft über unsere Verhältnisse. Und während ein finanzielles Defizit mit Krediten kurzfristig überbrückt werden kann, gibt es für ökologische Schulden keine Bank der Welt.

Das verdrängte Risiko

Warum reagieren Gesellschaften und Regierungen so träge, obwohl die Fakten seit Jahrzehnten bekannt sind? Wackernagel sieht das Problem auch in der Psychologie: «Wenn Menschen keinen Vorteil in der Information sehen, bekämpfen sie sie. Dann erscheint die Therapie schlimmer als die Krankheit,» sagt er.

Ein Beispiel: Weniger Autofahren bedeutet für viele nicht Freiheit, sondern Verzicht. Weniger Fleisch essen klingt nach Verlust an Lebensqualität. Dabei geht es eigentlich um Chancen, wie weniger Kosten, weniger Abhängigkeit, gesündere Ernährung. Doch solange der Vorteil nicht klar erkennbar ist, blockiert das Gehirn.

Ressourcensicherheit als harte Währung

Wackernagel drängt auf eine Perspektive, die weit über klassische Umweltpolitik hinausgeht: Ressourcensicherheit. Über 80 Prozent der Weltbevölkerung leben in Ländern, die mehr verbrauchen, als ihre eigenen Ökosysteme hergeben und gleichzeitig weniger Einkommen haben als der globale Durchschnitt. Diese Staaten können sich die fehlenden Ressourcen nicht einfach auf dem Weltmarkt einkaufen. Das Resultat: Eine wachsende geopolitische Kluft.

Für Unternehmen ist Ressourcensicherheit längst kein «Nice-to-have» mehr. «Unternehmen, die den globalen Overshoot reduzieren, werden die grössten Chancen haben, auch künftig Wert zu schaffen,» so Wackernagel. Investitionen in Energieeffizienz, Kreislaufwirtschaft oder regenerative Landwirtschaft sind nicht mehr nur ökologische Massnahmen, sondern knallharte Businessstrategien.

Lektionen aus China und für die Schweiz

Ein Blick nach China zeigt, wie Ressourcensicherheit zur Staatsdoktrin werden kann. In den Fünfjahresplänen tauchen Begriffe wie Wasser, Energie, Biodiversität und Ernährungssicherheit auf jeder Seite auf. Ressourcenschutz ist dort kein Nebenschauplatz, sondern Kern der Wirtschaftspolitik.

In Europa hingegen wird weiter gestritten: zwischen Klimazielen, Industrieinteressen und Konsumentenwünschen. Die Schweiz hat einen der frühesten Overshoot Days weltweit, doch eine Debatte über Ressourcensicherheit findet laut Wackernagel kaum statt.

Marktversagen in seiner grössten Form

Ökonomen sprechen vom grössten Marktversagen unserer Zeit: Ressourcen werden massiv unterbewertet. Würden ihre realen Kosten in die Preise einfliessen, wären viele Konsumgewohnheiten schlicht unbezahlbar. Doch genau darin liegt auch eine Chance: Wer es schafft, Geschäftsmodelle zu entwickeln, die mit weniger Ressourcen mehr Wert schaffen, wird zum Gewinner einer neuen, härteren Weltordnung.

Die neue Frontlinie der Wirtschaft

Mathis Wackernagel bringt es auf den Punkt: Ressourcensicherheit entscheidet über Wohlstand und Stabilität für Staaten, Unternehmen und Individuen. Der Overshoot Day ist kein symbolisches Datum, sondern die schärfste Mahnung an Wirtschaft und Politik.

Die Botschaft ist unbequem: Wer weiter auf Pump lebt, riskiert den Kollaps. Wer umdenkt, sichert die Zukunft.

Binci Heeb

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