Schweizer InsurTech noimos: Mut zur Umsetzung – nicht nur gute Ideen

30 Oktober, 2025 | Aktuell Allgemein Interviews
Schweizer InsurTech noimos: Daniel Meier, CEO und Co-Gründer verfolgt kleine und mittlere Schritte und liefert ab.
Schweizer InsurTech noimos: Daniel Meier, CEO und Co-Gründer verfolgt kleine und mittlere Schritte und liefert ab.

Während in vielen Ländern InsurTechs längst die Standards der Branche mitbestimmen, gilt die Schweiz noch immer als vorsichtig, wenn es um den produktiven Einsatz neuer Technologien geht. Es gibt aber durchaus auch gute Beispiele aus der Schweiz: Mit Künstlicher Intelligenz beschleunigt noimos die Schadenabwicklung im Motorfahrzeugbereich und macht sie effizienter, transparenter und nachhaltiger. CEO Daniel Meier erklärt im Gespräch, warum KI keine Black Box sein darf, wie er den Wandel der Branche erlebt und was die Schweiz tun muss, um bei Innovationen im Versicherungswesen nicht den Anschluss zu verlieren.

thebrokernews spricht mit Daniel Meier, CEO und Co-Founder von noimos, über den Einsatz von KI im Schadensmanagement und die Innovationskultur im Schweizer Versicherungsmarkt.

Herr Meier, noimos wurde ursprünglich als Tochterfirma der AXA Schweiz gegründet. Wann kam der Moment, an dem entschieden wurde eine eigenständige Firma zu werden und warum war dieser Schritt notwendig?

Die AXA hat sich bereits sehr früh mit den technologischen Trends rund um KI auseinandergesetzt und erkannt, dass potenziell sehr viel Wert geschaffen werden kann. Gleichzeitig war rasch klar, dass für gewisse Entwicklungen ein anderes Umfeld notwendig ist, als dies in einem grossen Versicherungsunternehmen besteht. Dies auch mit der Vision, diese Services zukünftig nicht nur AXA Schweiz intern einzusetzen, sondern für den Markt zu öffnen.

Welche Vision stand am Anfang von noimos? Ging es vor allem um Effizienzsteigerung, oder um ein grundsätzlich neues Verständnis von Schadenerfassung und -bewertung?

Die Vision ist seit Beginn grundsätzlich unverändert geblieben. Ziel ist es, Mehrwert für verschiedene Akteure im Bereich Motorfahrzeugschäden zu schaffen. Die angebotenen digitalen, KI-gestützten Services sind darauf ausgelegt, diesen Bedarf zu erfüllen. Beispielsweise kann der Garagist eine schnelle Reparaturfreigabe erhalten, während Versicherer die bestehenden Kapazitäten der Fahrzeugexperten gezielter auf Fälle anwenden können, bei denen eine detaillierte Prüfung angebracht ist. Zudem profitieren Kunden von einer effizienten Schadenbearbeitung und von dem Potenzial zur Vermeidung von unnötigen Schadenzahlungen, was sich positiv auf das Kundenerlebnis und die Prämienhöhe auswirken kann.

Der Schweizer Versicherungsmarkt gilt als solide, aber auch als eher konservativ. Wie offen ist die Branche heute wirklich für InsurTech-Innovationen?

Ich würde diese Aussage nicht pauschal bestätigen. Im Motorfahrzeug-Schadenumfeld spüre ich persönlich sehr viel Offenheit von Versicherern, neue Wege zu gehen und neue Technologien einzusetzen. Das kann aber auch daran liegen, dass AXA als grösster Motorfahrzeugversicherer in der Schweiz unsere Lösungen mitentwickelt und auch nutzt, was vielerorts als Qualitätsprädikat gesehen wird.

Ihr Unternehmen setzt auf Computer Vision, also auf die visuelle Analyse von Fahrzeugschäden. Wie funktioniert das in der Praxis und was unterscheidet noimos von anderen KI-Anbietern?

Wir haben aktuell drei Hauptprodukte. Beim Ersten geht es um die Steigerung der Reparaturquote bei Frontscheibenschäden. Zentrale Fähigkeiten in diesem Prozess sind Computer-Vision-Modelle, welche auf Basis eines Fotos beurteilen können, ob die Scheibe reparierbar ist.

Das zweite Produkt ist ein «Mini Fahrzeugexperte», welcher wie ein menschlicher Fahrzeugexperte das Schadenbild mit dem Kostenvoranschlag des Garagisten vergleicht, um zu beurteilen, ob die vorgeschlagenen Reparaturarbeiten korrekt sind, oder allenfalls interveniert werden muss. Beispielsweise wenn das Schadenbild darauf hindeutet, dass auch Dellen repariert werden, die wohl von einem früheren Schadenereignis sind. Oder von einer Kollision sein müssen. Oder kein Parkschaden aus Sicht des Versicherers sein kann. Dies, um nur einige Beispiele zu nennen.

Die technischen Fähigkeiten hinter diesen Produkten können sehr unterschiedlich kombiniert und eingesetzt werden.

Wir haben aufgrund unserer Wurzeln ein sehr fundiertes Versicherungsverständnis. Entsprechend entwickeln wir unsere Produkte aus Sicht und mit dem Know-how eines Versicherers, der Technologie für Versicherungsprozesse einsetzen möchte. Klingt ganz einfach, aber ist dennoch der Punkt, der uns von anderen unterscheidet.

Sie legen grossen Wert darauf, dass Ihre KI nachvollziehbar bleibt und auf Expertenwissen basiert. Warum ist Transparenz bei technologischen Innovationen in der Versicherung besonders wichtig?

Transparenz ist rechtlich notwendig und bildet zusammen mit Vertrauen das Fundament jeder Versicherung. Unsere Services müssen daher ebenso transparent und vertrauenswürdig sein.

Wie wird Ihre KI trainiert und wie stellen Sie sicher, dass sie verlässlich, objektiv und marktübergreifend funktioniert?

Ich würde nicht von «der KI» sprechen. Unsere Produkte bestehen aus unterschiedlichen Komponenten. Gewisse Modelle entwickeln wir in-house bei anderen Modellen verwenden wir aktuelle Large Language Models (LLM), welche wir an unsere Bedürfnisse anpassen oder mit unseren Daten weiterentwickeln. Und ganz zentral ist unsere Business-Regel, welche zusätzlich viel Versicherungs-Know-how einbringen.

Die Verlässlichkeit stellen wir insofern sicher, als dass unsere Modell fortlaufend auf deren Richtigkeit überprüft werden, indem Stichproben durch Mensch revalidiert werden. Oder auch vor dem Release von neuen Versionen automatisiert-standardisierte Tests durchlaufen werden, um grundsätzliche Fehlfunktionen (z.B. Biases oder Diskriminierungen) zu verhindern.

Das Thema «marktübergreifend» ist jedoch nicht ganz so trivial. Die zu Grunde liegenden Komponenten sind sicherlich dieselben. Aber jedes Land funktioniert dennoch sehr unterschiedlich. Aus Prozesssicht, aber auch mit Blick auf die Versicherungsbedingungen.

Entsprechend wichtig ist es, zu Beginn gemeinsam zu definieren, wie die Prozesse in Zusammenarbeit mit unseren Systemen ausschauen sollen, damit möglichst viel Wert generiert wird. Genau hier können wir wiederum dank unseres Versicherungs-Know-hows differenzieren und Mehrwert schaffen.

Sie schreiben, dass Sie LLM’s einsetzen. Aber das kann doch jeder. Was ist daran innovativ?

Wie bereits erwähnt, setzen wir im Hintergrund verschiedene Komponenten ein. Einige davon basieren auf eigenen Modellen, andere auf LLM’s und wiederum weitere nutzen hybride Ansätze. Insbesondere der hochskalierbare Produktivbetrieb von LLM’s stellt jedoch deutlich höhere Anforderungen als die einmalige Nutzung durch einzelne Anwender via ChatGPT. Erfahrungen aus solchen Einzelfällen sind nicht ohne Weiteres übertragbar. Darüber hinaus wurden in diesem Zusammenhang Aspekte wie Compliance und eine effiziente Dekommissionierung von Modellen noch nicht berücksichtigt.

Ihre Systeme kombinieren maschinelle Intelligenz mit menschlicher Expertise. Wie gelingt Ihnen die Balance zwischen Automatisierung und dem unverzichtbaren Erfahrungswissen von Fachleuten?

Maschinen sind in bestimmten Aufgabenbereichen leistungsfähiger als Menschen, während es zugleich Tätigkeiten gibt, die von Menschen besser ausgeführt werden. Die Produkte sind darauf ausgerichtet, unterstützende Funktionen dort bereitzustellen, wo sie benötigt werden, und durch Auswertungen Effizienzsteigerungen zu ermöglichen. Gleichzeitig sollen Prozesse automatisiert werden, bei denen maschinelle Lösungen Vorteile hinsichtlich Effektivität oder Kosten bieten. Das Ziel besteht darin, vorhandene Ressourcen effizient einzusetzen und geeignete Aufgaben zu automatisieren, nicht jedoch darin, möglichst viele menschliche Arbeitskräfte zu ersetzen.

Noimos wird in Zukunft auch mit verschiedenen anderen Versicherern und internationalen Partnern zusammenarbeiten. Was waren die grössten Hürden auf dem Weg von einem AXA-Projekt zu einem eigenständigen InsurTech-Unternehmen?

Unsere Eigentümerin ist noch immer AXA Schweiz, insofern würde ich uns nicht vollends als «eigenständiges InsurTech-Unternehmen» sehen. Diese Situation sehen wir aber auch als sehr grossen Vorteil, weil ein Versicherer langfristiger denkt und investiert, als dies gewisse andere Kapitalgeber tun würden. Denn er möchte letztendlich Wert für Versicherer schaffen.

Wenn Sie auf die DACH-Region blicken: Welche Unterschiede sehen Sie zwischen der Innovationsbereitschaft in der Schweiz, Deutschland und Österreich?

Die Innovationsbereitschaft ist aus meiner Sicht nicht von Ländern abhängig. Sie steht und fällt mit dem Mindset von Personen. Mal abgesehen davon, dass es durchaus grosse Unterschiede zwischen den Ländern gibt, welche formellen Hürden genommen werden müssen.

Viele Versicherer wollen innovativ erscheinen, scheuen aber die Umsetzung. Wie überzeugen Sie Entscheidungsträger davon, KI-Lösungen tatsächlich in ihre Prozesse zu integrieren?

Letztlich ist entscheidend, welchen Mehrwert eine Lösung bietet. Unsere bisherigen Erfahrungen zeigen, dass nach Beginn der Zusammenarbeit häufig zeitnah neue Ideen und Anwendungsbeispiele entstehen.

Ihre Technologie trägt auch zur Nachhaltigkeit bei, etwa wenn eine Frontscheibe repariert statt ersetzt wird. Wird dieser Aspekt in der Branche genug gewürdigt?

Nachhaltigkeit ist bei allen Versicherern ein Thema. Und wenn sich diese sogar noch gut mit anderen Zielen verbinden lässt, um so besser. Entsprechend begrüsst man dies.

Denken Sie bereits über Anwendungsfelder ausserhalb des Motorfahrzeugbereichs nach, zum Beispiel in der Gebäudeversicherung oder der Industrie?

Unser Hauptfokus liegt weiterhin eindeutig auf Motorfahrzeugen. Ob dies auch zukünftig ausschliesslich für Versicherungen bleibt, werden wir sehen.

Sie führen noimos mit einem eigenen Team und eigener Kultur, losgelöst von der Muttergesellschaft. Wie beeinflusst diese Unabhängigkeit Ihre Innovationsfähigkeit?

Wir haben die Vorteile einer kleinen Firma, wenn es um rasche Entscheidungen und Flexibilität geht. Dies macht uns sicher schneller als eine grosse Organisation – gleichwohl halten wir selbstverständlich alles ein, was ein Versicherer von uns regulatorisch erwartet.

Der Fachkräftemangel betrifft auch die Versicherungs- und Techbranche. Wie gelingt es Ihnen, Spezialisten für ein so komplexes Feld wie Computer Vision zu gewinnen und langfristig zu binden?

Die Mitarbeiter können erkennen, welchen direkten Einfluss ihre tägliche Arbeit hat und stehen fortlaufend mit neuen Themen und Technologien in Kontakt, wodurch kontinuierliche Weiterentwicklung möglich ist. Gleichzeitig investieren wir viel in Team-Aktivitäten, weil ich der festen Überzeugung bin, dass der Teamspirit und Zusammenhalt zentral für den Erfolg einer Firma ist. Dies wirkt sich auch positiv auf die Mitarbeiterloyalität aus. Und auch für die längerfristige Bindung von Mitarbeitenden.

Wenn Sie fünf Jahre nach vorn blicken: Wie sieht noimos 2030 aus und welchen Einfluss wird Künstliche Intelligenz bis dahin auf die Versicherungsbranche insgesamt haben?

Schon heute gibt es sehr viele Anwendungsfelder innerhalb von Versicherern, welche mit künstlicher Intelligenz unterstützt werden (z.B. Pricing, Claims operations, etc.). Die Anwendungstypen und die Menge werden sicherlich zunehmen, nachdem aktuell viele erfolgsversprechende Piloten in unterschiedlichen Bereichen der Wertschöpfungskette stattfinden.

Und meine Vision? Wir integrieren unsere Services aktuell in mehreren europäischen Ländern. Mein Ziel ist es deshalb, dass diese Implementierungen von unseren Kunden als Erfolg wahrgenommen werden und uns als Basis für weitere Kunden und Use-Cases dienen. Ich möchte noimos als relevanten Player etablieren. Dieser persönlichen Vision für noimos kann man entnehmen, dass ich meine Wurzeln bei einem Versicherer habe. Ich habe immer das Ziel verfolgt, die kleinen und mittleren Schritte wirklich zu gehen und abzuliefern, als nur von den grossen Schritten zu sprechen.

Die Fragen hat Binci Heeb gestellt.

Daniel Meier: Versicherungsfachmann mit eidg. FA, Finanzplaner mit eidg. FA, Executive MBA Sales & Marketing.

1998 – 2001 Versicherungslehre bei Winterthur Versicherungen AG, 1999 – Gründung eigener Firma für Webhosting / Webdesign, 2001 – 2012 Diverse Funktionen innerhalb Distribution von AXA Versicherungen AG, 2013 – 2015 Aufbau und Leitung Brokercenter Winterthur AXA Versicherungen AG, 2016 – 2021 Leiter Mobilitätsversicherungen AXA Versicherungen AG, 2021 – Co-Founder und CEO Noimos AG

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