Swiss InsurTech Hub: Gewinner & Agenda 2026
9 Dezember, 2025 | Aktuell Allgemein
Beim Dezember-Online-Meetup des Swiss InsurTech Hub standen die Gewinner der diesjährigen Awards im Fokus: von Cyberrisiko-Quantifizierung über Core-Modernisierung bis zur Schliessung der Sicherheitslücke in der Lebensversicherung. Zugleich wurde der Blick auf die wichtigsten Branchentermine zum Jahresstart gerichtet. Ein Rückblick mit Ausblick.
Den Auftakt machte Citalid, Gesamtsieger der diesjährigen Swiss InsurTech Hub Awards. Thebrokernews hat in einem ausführlichen Interview mit dem CEO und Mitgründer Maxime Cartan, früher Bedrohungsexperte bei der französischen Cyberabwehrbehörde ANSSI, ausführlich darüber berichtet.
LedgerTech: Kernsystem-Modernisierung ohne Big-Bang
Anschliessend schaltete sich Eran Tirer, CEO von Ledgertech, aus Hongkong zu. Sein Thema: Wie sich jahrzehntealte Policenverwaltungssysteme, oft in COBOL auf Grossrechnern betrieben, in die Ära von KI, eingebetteter Versicherung und Cloud, ohne Big-Bang-Migration und Mammutprojekte, überführen lassen. Tirer spricht von einer «perfekten Orchestration» aus mehreren Kräften: KI und Automatisierung, veränderte Kundenerwartungen rund um digitale und eingebettete Produkte, wachsender regulatorischer Druck sowie die Tatsache, dass fast alle Peripheriesysteme bereits in die Cloud gewandert sind, während das Kernsystem als eine Vorort-Insel zurückbleibt.
Ledgertech positioniert sich als cloud-native, KI-gestützte Policenadministrations-Plattform auf Low-Code-/No-Code-Basis. Der Ansatz: Die Plattform setzt zunächst auf das bestehende Kernsystem auf, das als Aufzeichnungsplattform bestehen bleibt. Neue oder ausgewählte Produktlinien, etwa Reise, KMU oder Kfz werden auf Ledgertech aufgebaut, wobei ein KI-Co-Pilot die Produktkonfiguration unterstützt. Underwriting, Schaden, Servicing und Distribution werden schrittweise in die neue Architektur verlagert, inklusive API-basierter, eingebetteter-Use-Cases. Erst wenn genügend Volumen migriert ist, kann das alte System auslaufen. Als Referenz nannte Tirer unter anderem Phoenix Insurance in Israel, das nach einer gründlichen Analyse klassischer Core-Modernisierungswege letztlich Ledgertech für die digitale Transformation bevorzugte. Dies nicht zuletzt wegen der Komplexität, der Kosten und der Markteinführungszeit traditioneller Projekte.
ViteSicure: Die Protection Gap in der Lebensversicherung
Mit ViteSicure rückte die Schutzlücke in der Lebensversicherung ins Zentrum. CEO Eleonora Del Vento beschrieb die Ausgangslage in Italien: Jede zweite Familie spart nichts, zwei von drei Millennials kämpfen mit Zukunftsängsten und gleichzeitig besitzen nur rund sechs Prozent der Haushalte eine Lebensversicherung. Die Folge ist eine massive Schutzlücke und ein Markt mit Milliardenpotenzial, der noch nicht wirklich erschlossen ist.
ViteSicure versteht sich als wirkungsorientiertes InsurTech, das finanziellen Schutz rund um Tod, Krankheit, Unfall und Einkommensverlust digital zugänglich machen will und Lebensversicherungen konsequent an neue Kaufgewohnheiten anpasst. Die Plattform bietet eine vollständig digitale Reise: in wenigen Minuten ist der Abschluss erledigt und die Police steht unmittelbar online zur Verfügung. Die Kennzahlen untermauern das Modell: hohe Conversion, niedrige Abwanderungsrate, ein Lebenszeitwert deutlich über den Akquisitionskosten sowie ein aufgebautes Portfolio im zweistelligen Millionenbereich bei Prämien und Provisionen. ViteSicure operiert als in Italien registrierter Makler mit EU-Pass, expandiert unter anderem nach Spanien und arbeitet inzwischen B2C, B2B2C und eingebettet. Die Basis bildet einer durchgängige eigene Plattform mit Frontend, Backend, Datenbank und APIs entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Aktuell bereitet das Team eine Series-A-Runde vor, um die Expansion in Europa zu beschleunigen.
InsureMO: Middle-Office für die API-Ökonomie
Mit InsureMO stellte Antoniya Karakulova die Perspektive eines globalen Middle-Office-Spielers vor. InsureMO, kurz für Insurance Middle Office, versteht sich als Infrastruktur-Layer zwischen alten Kernsystemen und der digitalen Aussenwelt. Die Plattform adressiert die bekannten Engpässe vieler Versicherer: lange Markteinführungszeit bei neuen Produkten, begrenzte Skalierbarkeit bei hohen Volumina und eine fragmentierte Datenlandschaft, die den Einsatz moderner KI- und analytischen Lösungen bremst.
InsureMO setzt auf eine kopflose, API-first-Architektur, die sich an bestehende Kernsysteme andockt, Daten konsolidiert und gleichzeitig Vertriebspartner, MGAs, Makler und Drittsysteme orchestriert. Die Produktbibliothek umfasst Tausende konfigurierbare Vorlagen, auf deren Basis sich neue Produkte in Wochen statt Monaten lancieren lassen. Die Plattform verarbeitet in der Spitze enorme Volumina und ist in mehr als 50 Ländern im Einsatz. Je nach Ausgangslage kann sie einzelne Geschäftsbereiche digitalisieren oder als Grundlage für einen späteren Kernersatz dienen, mit der Idee, Transformationsrisiken zu begrenzen und dennoch schnell sichtbare Effekte zu erzielen.
Wissensverlust stoppen: Automatisierung aus der Praxis
Zum Abschluss präsentierte und adressierte Stefan Majnek von UpQuAI, einem in Zug ansässiges Schweizer InsurTech, ein oft unterschätztes Thema: den Verlust von Expertenwissen in der Versicherung. Bis Ende des nächsten Jahres werden in Europa Hunderttausende Fachkräfte in den Ruhestand gehen, ein Grossteil ihres operativen Wissens ist nirgends dokumentiert. Das erschwert Automatisierung und ist aus Sicht des Startups ein zentraler Grund dafür, dass zahlreiche Automatisierungsinitiativen scheitern.
Die Antwort ist eine Self-Service-SaaS-Plattform, mit der Fachkräfte während ihrer normalen Arbeit Bildschirmaktivitäten, begleitende Audio-Kommentare und relevante Metadaten aufzeichnen können. Aus diesen Daten entsteht eine Wissensinfrastruktur, die Prozesse sichtbar macht, sich für Automatisierung und Analysen nutzen lässt und sich gleichzeitig für Standard-Arbeitsanweisungen und Schulungszwecke eignet. Ein Praxisbeispiel stammt von einem Schweizer Versicherer, der mit stark wachsendem Schadenvolumen und knappen Spezialisten zu kämpfen hatte: Nach kurzer Zeit war genügend Wissen erfasst, um den Schadenprozess von der ersten Schadensmeldung bis zur Zahlung weitgehend zu automatisieren. Mitarbeitende konnten auf kundennahe Aufgaben umgeschichtet werden, die jährlichen Einsparungen wurden im sechsstelligen Bereich beziffert. Das Startup eröffnet zudem ein Büro im House of InsurTechs am Generali-Hauptsitz und bringt eine Light-Version seines Produkts für Prozessverantwortliche, Berater und KMU auf den Markt.
Blick nach vorn: ETH-Symposium und ITC London
Neben den Gewinnern richtete die Präsidentin von Swiss InsurTech Hub, Silvia Signoretti, den Blick nach vorn. Am 20. Januar findet an der ETH Zürich ein ganztägiges Symposium zu «Embedded Insurance» statt, gemeinsam mit der ETH, dem Open Embedded Insurance Observatory und internationalen Expertinnen und Experten. Die Plätze sind limitiert, die Nachfrage schon jetzt hoch. Ende Januar folgt die zweite Ausgabe von ITC London, kuratiert von Ian Carpenter, mit bewusst begrenzter Teilnehmerzahl, hohem Anteil an Versicherern, Brokern und MGAs, einer Innovation Zone, einem Startup-Showcase und einem neuen Challenge Lab, das in seiner Premiere von Generali gesponsert wird. Für Mitglieder des Swiss InsurTech Hub sind spezielle Pakete und ein gemeinsamer Pavillon vorgesehen.
Dazu kommen Community-Formate wie der jährliche InsureBingo-Apéro in Zürich, die den informellen Austausch fördern und die Brücke zwischen Startups, etablierten Versicherern und internationalen Innovationsplattformen schlagen. Das Dezember-Meeting war zwar kleiner besetzt als üblich, inhaltlich aber dicht: von Cyberrisiken als Wachstumsfeld über Core-Modernisierung und Lebensversicherung 2.0 bis zur Sicherung von Expertenwissen. 2026 dürfte zeigen, welche dieser Innovationen im Alltag der Versicherer tatsächlich skalieren und wo sich aus Pilotprojekten neue Standards der Branche entwickeln.
Binci Heeb
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