Verhandeln mit Maschinen – Wie KI helfen soll, Chaos zu meistern
9 Mai, 2025 | Aktuell Allgemein Interviews Nicht kategorisiert
Die Gründer von «ComplexChaos», Maya Ben Dror und Thomy Lorsch, wollen mithilfe von künstlicher Intelligenz Verhandlungen neu denken. Ihr Ziel: Komplexität nicht reduzieren, sondern verstehen und nutzen. Im Gespräch mit thebrokernews erklären sie, warum KI gerade bei Verhandlungen eine entscheidende Rolle spielt, wie sie menschliche Schwächen ausgleicht und warum echtes Vertrauen der Schlüssel zu besseren Entscheidungen ist.
An den 21. European Trend Days lud das Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) in Rüschlikon Mitte März 2025 zu einem interessanten Event mit dem Titel «Highway to Heaven? How AI Transforms Society and Work». Binci Heeb hatte dabei die Gelegenheit mit Dr. Maya Ben Dror, Mitgründerin und Tomy Lorsch, Mitgründer und CEO von von ComplexChaos zu sprechen.
Was ist die Idee hinter ComplexChaos – und warum gerade KI für Verhandlungen?
Maya Ben Dror: Unsere Welt ist komplexer denn je. Ich habe in verschiedenen Sektoren gearbeitet – Regierung, Tech, NGOs, Weltwirtschaftsforum – und immer wieder gesehen, wie schwer es ist, echte Veränderung durchzusetzen. Ich habe gelernt: Wenn wir es ernst meinen mit Klimaschutz oder sozialer Gerechtigkeit, müssen wir lernen, besser zusammenzuarbeiten. Genau hier kann Technologie helfen. Mit ComplexChaos wollen wir zeigen, dass KI ein Werkzeug sein kann, um Vertrauen zu schaffen und Entscheidungen transparenter und fairer zu machen.
Thomy Lorsch: In vielen Organisationen funktioniert Entscheidungsfindung noch wie im letzten Jahrhundert – mit starren Hierarchien und isoliertem Denken. Aber die Herausforderungen heute – Klima, Ressourcen, globale Gerechtigkeit – erfordern Zusammenarbeit über Grenzen hinweg. KI kann helfen, die Kommunikation zwischen Gruppen zu erleichtern, Perspektiven zu übersetzen und Konflikte sichtbar zu machen, bevor sie eskalieren.
Was kann KI im Verhandlungsprozess besser als Menschen?
Thomy: KI kann unendlich mehr Daten verarbeiten als ein Mensch – und dabei Muster erkennen, die uns verborgen bleiben. In multilateralen Verhandlungen – etwa bei der Regenwald-Renaturierung in Amazonien – treffen unterschiedlichste Interessen aufeinander: lokale Gemeinschaften, internationale Geldgeber, NGOs, Staaten. KI kann helfen, diese Komplexität zu strukturieren und Lösungen zu finden, die allen gerecht werden.
Maya: Vor allem aber kann KI unsere eigenen Denkfehler aufdecken. Wir alle sind voreingenommen – verfügen über blinde Flecken –, die uns in Entscheidungen leiten. Ein Beispiel: der sogenannte «Sunk Cost Bias», bei dem man an einem Projekt festhält, nur weil schon viel investiert wurde, auch wenn es nicht mehr sinnvoll ist. KI kann diese Muster erkennen und uns so helfen, klügere Entscheidungen zu treffen.
Aber geht nicht viel Menschliches verloren – wie Emotionen, Empathie, Intuition?
Maya: Emotionen können hilfreich sein – aber auch manipulativ. Deshalb wollen wir sie nicht abschaffen, sondern bewusst machen. Intuition hingegen ist extrem wichtig. Sie öffnet uns für Neues, für Veränderung. In Verhandlungen ist das zentral: Nur wenn wir bereit sind, unsere Sichtweise zu ändern, entstehen echte Lösungen. Wir arbeiten eng mit dem Presencing Institute am MIT zusammen, um genau das zu fördern – die Verbindung zwischen innerer Haltung und äusserem Handeln.
Thomy: KI kann diese Prozesse unterstützen, etwa indem sie Vorurteile sichtbar macht oder Gesprächsdynamiken analysiert. Aber sie ersetzt niemals das menschliche Gespür. Unsere Vision ist eine Art Hybrid-Verhandlung: KI analysiert, Menschen entscheiden. Es geht um Unterstützung – nicht um Ersetzung.
Warum sind Menschen oft offener gegenüber KI als gegenüber anderen Menschen?
Maya: Studien zeigen, dass Menschen KI gegenüber oft ehrlicher sind. Der Grund: KI urteilt nicht. Sie schaut dich nicht schräg an, sie unterbricht nicht, sie bewertet nicht. Viele nonverbale Signale – Mimik, Ton, Körpersprache – fallen weg. Dadurch fühlen sich Menschen sicherer, können sich öffnen, reflektieren. Wir glauben, dass das ein enormes Potenzial hat – gerade in schwierigen Gesprächssituationen oder bei sensiblen Themen.
Was bedeutet «nachhaltige KI» für Euch konkret?
Maya: Für uns bedeutet «sustainable AI» nicht nur ökologische Nachhaltigkeit – also etwa Energieeffizienz –, sondern auch ethische Fairness, langfristiger gesellschaftlicher Nutzen und globale Zugänglichkeit. Wir wollen sicherstellen, dass KI nicht nur für einige wenige entwickelt wird, sondern für viele – auch für diejenigen, die bisher kaum eine Stimme hatten. Deshalb denken wir weiter: Kann KI eines Tages auch für die Natur, für zukünftige Generationen oder für bedrohte Arten «sprechen»?
Wie misst man den Erfolg solcher KI-gestützten Verhandlungen?
Thomy: Klassisch schaut man auf Abschlussraten oder Verhandlungsgeschwindigkeit. Aber das greift zu kurz. Uns interessieren andere Fragen: Wie lange hält eine Vereinbarung? Wird sie als fair empfunden? Haben sich alle gesehen und gehört gefühlt? Wir entwickeln Instrumente, die solche Faktoren messbar machen – auch qualitative Kriterien wie Vertrauen, Nachvollziehbarkeit oder Umsetzungsfähigkeit.
Chaos als Chance – was bedeutet das konkret bei ComplexChaos?
Thomy: Chaos hat einen schlechten Ruf, dabei ist es der Ursprung von Kreativität. In komplexen Verhandlungen entstehen durch das Zusammenspiel unterschiedlicher Akteure oft unerwartete Dynamiken. Wir arbeiten mit Methoden aus der Komplexitätsforschung, um diese Dynamiken sichtbar zu machen. KI hilft dabei, das Gesamtbild zu erfassen – und daraus Impulse für bessere Entscheidungen zu gewinnen. Wir sagen: Chaos ist nicht das Problem, sondern der Stoff, aus dem Lösungen entstehen.
ComplexChaos will nicht einfach Ordnung schaffen – sondern uns befähigen, mit der Unordnung besser umzugehen. Künstliche Intelligenz wird dabei zur Übersetzerin, zur Impulsgeberin, zur Spiegelhalterin. Und der Mensch? Bleibt im Zentrum – als Entscheider, als Zuhörer, als Verhandler. Denn echte Veränderung beginnt nicht mit perfekten Systemen, sondern mit ehrlichen Gesprächen.
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