Vom Chaos zur Klarheit: Simplifais CEO über KI in der Schadenbearbeitung

17 Oktober, 2025 | Aktuell Allgemein Interviews
Vom Chaos bei der Schadenbearbeitung zur Klarheit: Interview mit Artem Gonchakov, CEO von Simplifai.
Vom Chaos bei der Schadenbearbeitung zur Klarheit: Interview mit Artem Gonchakov, CEO von Simplifai.

Angesichts wachsender Datenmengen und steigender Kundenerwartungen wird Automatisierung für Versicherer zur strategischen Notwendigkeit. Simplifai, der norwegische Pionier für KI-Automatisierung, bringt eine neue Serie von Tools auf den Markt, die die Schadenbearbeitung schneller, intelligenter und vollständig konform machen sollen. Im Vorfeld des Produkt-Webinars erklärt CEO Artem Gonchakov, wie KI die Zukunft des Schadenmanagements verändert und wie sich Innovation und Vertrauen in Einklang bringen lassen.

Gegründet 2017 in Oslo, hat sich Simplifai als eines der agilsten Automatisierungsunternehmen Europas etabliert. Das Unternehmen unterstützt Versicherer, Banken und öffentliche Institutionen dabei, komplexe Arbeitsabläufe durch KI zu optimieren. Seine Plattform kombiniert Dokumentenverständnis, Prozessautomatisierung und Compliance-Management, um manuelle Arbeit zu reduzieren und Entscheidungen zu verbessern. Mit den neuen Tools für die Schadenbearbeitung – darunter KI-gestützte Schadenzusammenfassungen, Grossschaden- und Betrugserkennung sowie erweiterte Datenfunktionen – positioniert sich Simplifai als Katalysator der nächsten Phase der digitalen Transformation im Versicherungssektor.

Interview mit Artem Gonchakov, CEO von Simplifai.

Herr Gonchakov, Simplifai führt mehrere neue KI-gestützte Tools für Schadenbearbeiter ein. Welche konkreten Herausforderungen bei der Schadenbearbeitung haben zu dieser neuesten Aktualisierung geführt?

Bei Schadenfällen im Bereich Sach- und Unfallversicherungen entstehen Verzögerungen selten durch wichtige Entscheidungen, sondern durch die «Grundarbeit»: Triage, Beschaffung von Dokumenten, Abgleich von Daten aus E-Mails, PDFs und Tabellenkalkulationen. Hier schleichen sich Fehler ein und entscheiden über den Erfolg oder Misserfolg des NPS. Unsere neue Simplifai-Plattform zielt auf diese Engpässe ab: Die Funktion «Large Loss Detection» leitet Schadensfälle mit hohem Schweregrad schnell an erfahrene Sachbearbeiter weiter, «Fraud Indication» macht frühzeitig auf verdächtige Fälle aufmerksam, die eine Untersuchung durch die SIU erfordern, und «AI Assessment» liest und synthetisiert grosse, gemischte Schadensakten in einem Durchgang.

Ausserdem haben wir die sichere, direkte Verwendung von Excel oder Google Sheets innerhalb des Workflows ermöglicht, sodass Teams die Tools, denen sie bereits vertrauen, ohne manuelles Kopieren und Einfügen verwenden können. Dies sind praktische Upgrades, die für die Realitäten der Versicherungsbranche und hohe Volumina entwickelt wurden. Wir erweitern weiterhin die Fähigkeiten unserer KI-Agenten über den gesamten Schadenlebenszyklus hinweg – von der Aufnahme bis zum Abschluss – und stellen so sicher, dass sie im täglichen Betrieb wirklich nützlich sind.

Sie beschreiben die neue Plattform als eine Verbesserung sowohl der Effizienz als auch der Transparenz. Wie definieren Sie Transparenz in der KI-gesteuerten Schadenbearbeitung?

Transparenz bedeutet keine Black Boxes. Jede Empfehlung eines KI-Agenten, ob Deckungsprüfung, Schweregrad oder Abwicklungsempfehlung, wird mit klaren Begründungen, Prüfprotokollen und Kontrollpunkten durch Menschen begleitet. Führungskräfte können sehen, wo die KI tätig wurde, wo ein Sachbearbeiter eingegriffen hat und warum. So können Sie Entscheidungen gegenüber Wirtschaftsprüfern, Aufsichtsbehörden und Kunden verteidigen.

Das neue Tool «Claim Summary» klingt nach einem wichtigen Produktivitätssteigerer. Wie gewährleistet es Genauigkeit und Konsistenz bei der Zusammenfassung komplexer oder umfangreicher Schadensdokumente?

Wir «überfliegen» nicht, wir aggregieren. Die neue KI-Bewertung liest Dokumente, E-Mails, Bilder und Schätzungen und fasst dann wesentliche Informationen wie Versicherungsbedingungen, Parteien, Beträge und die nächsten besten Schritte in einer konsistenten, überprüfbaren Zusammenfassung zusammen. Sachverständige können PDFs und Bilder vor der Zusammenfassung zusammenführen, um sicherzustellen, dass nichts ausgelassen wird.

Es gibt eine einfache Schadensübersicht, die jeden Schaden automatisch aktualisiert, und eine erweiterte Version für Fälle mit hohem Volumen und hoher Komplexität. Einige unserer Kunden erhalten Hunderte von Dokumenten und Tausende von Seiten pro Schadenfall. Diese Aufgabe nahm früher Stunden oder Tage in Anspruc. Jetzt kann der KI-Agent diese Informationen in grossem Umfang verarbeiten und den Schadenfall stets mit den neuesten Daten aktualisieren.

Die Erkennung von Grossschäden und Betrugsfällen ist ein sensibler Bereich in der Versicherungsbranche. Wie trainieren Sie Ihre KI, um Anomalien ohne Fehlalarme oder Verzerrungen zu identifizieren?

Wir stützen uns auf objektive Signale, wie inkonsistente Dokumente, zeitliche Anomalien und Musterabweichungen im Vergleich zu historischen Daten, und leiten alle Ergebnisse mit geringer Zuverlässigkeit zur Überprüfung durch Menschen weiter. Die Erkennung von Grossschäden priorisiert potenziell schwerwiegende Schadensfälle für die Überprüfung durch Vorgesetzte, während die Betrugserkennung Dokumente und E-Mails vorab auf Hinweise für die SIU überprüft. Beide arbeiten mit vom Kunden definierten Schwellenwerten, sodass die KI niemals eigenständig handelt.

Mit Agentic AI können Versicherer nun rund 80 Prozent der potenziellen Betrugsfälle erkennen, ohne spezielle Software kaufen zu müssen. Wir positionieren KI-Agenten nicht als Betrugsexperten, sondern als erste Verteidigungslinie. Sie werden über unseren Industry Hub geschult, wobei sowohl die Daten von Simplifai als auch kundenspezifische Regeln verwendet werden. Wenn sich diese Regeln ändern, passt sich die KI dynamisch an.

Sie haben die integrierte Compliance erwähnt. Wie geht Simplifai mit regulatorischen Anforderungen wie Datenschutz, Überprüfbarkeit und Erklärbarkeit um?

Vertrauen wird vom ersten Tag an aufgebaut. Wir wenden ISO-konforme Kontrollen, SOC 2-Zertifizierung, GDPR-konforme Praktiken und strenge Datenresidenzoptionen an. Privacy by Design steht im Mittelpunkt mit Verschlüsselung, Zugriff mit minimalen Berechtigungen, Isolierung der Umgebung und detaillierten Audit-Protokollen. Wir nutzen KI auch zur Verbesserung der Compliance, mit Bias-Prüfungen während des Modelltrainings und Schutzvorrichtungen, um nicht genehmigte Aktionen zu verhindern.

Da wir regulatorische und Governance-Fragen frühzeitig angehen, können unsere Kunden die Bereitstellung beschleunigen, Nacharbeiten reduzieren und eine schnellere Wertrealisierung erreichen.

Viele Versicherer verlassen sich immer noch auf Altsysteme. Wie einfach ist es, die Tools von Simplifai zu integrieren?

Stellen Sie sich die KI-Agenten von Simplifai als eine nicht-invasive Intelligenzschicht vor, die auf bestehenden Systemen, wie Schadenbearbeitung, Policen, DMS, CRM oder Zahlungen, aufsetzt, ohne dass diese komplett ersetzt werden müssen. Wir können die Integration über APIs für moderne Systeme vornehmen oder RPA für ältere Systeme verwenden. Deshalb können auch ältere Infrastrukturen von der KI-Modernisierung profitieren.

Wie sehen Sie die Rolle des menschlichen Schadenbearbeiters, wenn die Automatisierung immer mehr administrative Aufgaben übernimmt?

Die Schadenbearbeiter verlagern sich von der Verwaltung hin zur Interessenvertretung und Beurteilung. Unsere KI-Agenten sind so konzipiert, dass sie den gesamten Schadenlebenszyklus abdecken, aber nicht alles automatisieren. Wir entwerfen Prozesse, bei denen der Mensch im Mittelpunkt steht und die Effizienz mit Aufsicht verbinden. Der Mensch konzentriert sich auf kognitive und kundenorientierte Aufgaben, während die KI repetitive Aufgaben übernimmt. Die Zukunft liegt in der Zusammenarbeit, nicht im Wettbewerb.

Es gibt eine feine Grenze zwischen Automatisierung und Empathie. Wie stellt Simplifai sicher, dass die Technologie das menschliche Element verbessert und nicht ersetzt?

Das Kundenerlebnis verbessert sich, wenn Geschwindigkeit und Klarheit zunehmen, während die Empathie erhalten bleibt. KI-Agenten liefern sofortige Bestätigungen, extrahieren Details, bieten proaktive Updates und reduzieren sich wiederholende Anfragen. Sie können auch die Sprache von Policen vereinfachen und mehrsprachige Kommunikation handhaben.

Empathie bleibt jedoch weiterhin den Menschen vorbehalten. KI-Agenten sind so programmiert, dass sie Szenarien mit geringer Zuverlässigkeit oder sensiblen Inhalten an Menschen weiterleiten, um Empathie und Urteilsvermögen dort zu gewährleisten, wo es am wichtigsten ist.

Die Versicherungsbranche ist von Natur aus vorsichtig. Wie schafft man Vertrauen, wenn man KI in Kernprozesse einführt?

Vorsicht ist gesund und wir begegnen ihr mit Transparenz und schnellen Erfolgen. Unser Leitfaden zur Einführung:

  1. Entdeckung und Werthypothese – Modellieren Sie die Auswirkungen auf wichtige KPIs mithilfe unseres Value Realization Frameworks.
  2. Pilotprojekt – Konzentrieren Sie sich auf einen engen Anwendungsfall, wie E-Mail- oder FNOL-Triage, um den Wert schnell zu beweisen.
  3. Radikale Transparenz – Live-Dashboards zeigen Automatisierungsraten, Genauigkeit und Übergaben an Menschen.
  4. Expandieren Sie in Wellen – erst nach einem erfolgreichen Pilotprojekt.

Dieser Co-Design-Ansatz verwandelt Skepsis in Unterstützung, da die Ergebnisse sichtbar sind und die Governance intakt bleibt.

Können Sie uns eine Erfolgsgeschichte erzählen?

Ein britischer Versicherer nutzte unseren KI-Agenten für die Bewertung von Fahrzeugschäden, wo Sachbearbeiter zuvor Stunden damit verbrachten, Ingenieursberichte und Rechnungen zu prüfen. Die KI markiert nun Duplikate oder Anomalien und schlägt Massnahmen vor, wodurch die Kostenkontrolle und die Betrugserkennung verbessert werden.

In den USA hat ein anderer Kunde die Bearbeitung von Sachschadenmeldungen automatisiert und verarbeitet nun grosse Mengen an E-Mails und Anhängen von Auftragnehmern. Der KI-Agent identifiziert die richtigen Schadenmeldungen, klassifiziert über 75 Dokumenttypen, konvertiert Formate und fügt Bilder zu PDF-Dateien zusammen. Dies hat die Datenqualität, Geschwindigkeit und Genauigkeit verbessert.

Sie führen Funktionen wie die Erkennung grosser Verluste und die Identifizierung von Betrugsfällen ein. Sehen Sie eine Entwicklung von Simplifai hin zu prädiktiven oder präskriptiven Analysen?

Ja, das ist der nächste Schritt. Über das Markieren von Problemen hinaus werden unsere Agenten die nächstbesten Massnahmen mit Begründung und Zuversicht vorschlagen, wie beispielsweise die Eskalation komplexer Fälle, die Anforderung zweiter Kostenvoranschläge oder die Anpassung von Rückstellungen. All dies geschieht unter menschlicher Aufsicht und mit vollständiger Überprüfbarkeit durch unser «Know Your Agent»-Framework.

Gibt es regionale Unterschiede bei der Einführung von Automatisierung und KI durch Versicherer?

Die Prioritäten sind ähnlich, aber die Reihenfolge unterscheidet sich.

  • Die DACH-Märkte legen Wert auf Governance und Dokumentation, daher setzen wir auf Erklärbarkeit und Prüfpfade.
  • Grossbritannien und die Benelux-Länder bevorzugen schnelle Pilotprojekte mit klaren Skalierungsmöglichkeiten.
  • US-Versicherer drängen auf ROI und Transparenz für die Aufsichtsbehörden.

Wir passen die Einführungsstrategien an die betrieblichen Gegebenheiten der jeweiligen Region an.

Wie unterscheidet sich der Ansatz von Simplifai von den Automatisierungsplattformen der grossen Technologieunternehmen?

Wir sind versicherungsorientiert und bieten End-to-End-Lösungen. Anstelle von Toolkits, die integriert werden müssen, liefern wir einsatzbereite KI-Agenten für jede Art von Schadenfall, ob Kfz, Sach, Reise, Personenschaden, die nach den Regeln des Kunden arbeiten und vollständige Transparenz nach dem Prinzip «Know Your Agent» bieten. Wir integrieren uns als nicht-invasive Ebene, halten das Risiko gering und steigern den Wert.

Was steht als Nächstes für Simplifai an?

Wir konzentrieren uns auf ein durchgängiges Agentic-Design, das es Versicherern ermöglicht, KI-Agenten über den gesamten Schadenlebenszyklus hinweg aufzubauen, zu konfigurieren und weiterzuentwickeln. Zu den wichtigsten Entwicklungen gehören:

  • AI Skill Factory: eine wachsende Bibliothek modularer, versicherungsspezifischer KI-Fähigkeiten.
  • Integration Fabric: nahtlose Konnektoren und APIs für bestehende Systeme.
  • Human-in-the-Loop-Architektur: eingebettete Überwachung bei jedem Schritt.
  • Know-Your-Agent-Dashboards: Analysen zur Verfolgung von Leistung, Genauigkeit und ROI.

All dies stärkt die Kontrolle, Transparenz und Anpassungsfähigkeit.

Wird die Schadenbearbeitung jemals vollständig autonom werden?

Nicht ganz. Das nächste Jahrzehnt wird von verstärkten menschlichen Teams geprägt sein. KI-Agenten werden 80 bis 90 Prozent der Routineaufgaben übernehmen, während sich Menschen auf Urteilsvermögen, Verhandlungen und Empathie konzentrieren.

Drei Veränderungen werden diese Zukunft prägen:

  1. KI-Copiloten, die Sachverständige mit Zusammenfassungen und Empfehlungen unterstützen.
  2. Multimodale Intelligenz, die Text, Bilder und Videos für erklärbare Ergebnisse kombiniert.
  3. Gesteuerte Autonomie – direkte Entscheidungen in Fällen mit geringem Risiko mit integrierten Erklärungs- und Rollback-Optionen.

Simplifai investiert stark in diese Zukunft, erweitert seine Skills Library und verbessert die KYA-Dashboards, damit Versicherer sicher vom Konzept zur täglichen Betriebsrealität übergehen können.

Das Interview führte Binci Heeb, Chefredaktorin.

Mit 15 Jahren Erfahrung in den Bereichen Versicherungen, Banken, Finanzdienstleistungen, Telekommunikation und Medien bringt Artem Gonchakov als CEO und Vorstandsmitglied eine einzigartige Kombination aus technischem, operativem und geschäftlichem Fachwissen bei Simplifai ein. Mit einem Master-Abschluss in Informatik hat er erfolgreich Innovationen in Fortune-500-Unternehmen und Start-ups vorangetrieben, darunter: Deutsche Bank, Twitter/X, WorkFusion und sein eigenes Start-up Arty Finch.

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