Vom Modell zum Mindset: Warum die letzte Meile der KI über Erfolg oder Scheitern entscheidet
24 Dezember, 2025 | Aktuell Allgemein
Künstliche Intelligenz ist, zumindest technisch, in vielen Unternehmen angekommen. Modelle werden trainiert, Tools pilotiert, Use Cases definiert. Und doch bleibt der wirtschaftliche Impact häufig hinter den Erwartungen zurück. Genau hier setzte das Webinar «From Models to Mindset: The Last Mile of AI Adoption» an, das MIT-Sloan-Dozent Paul McDonagh-Smith kürzlich vorstellte. Seine zentrale These: Nicht die Leistungsfähigkeit der Modelle entscheidet über den Erfolg von KI, sondern die Fähigkeit von Organisationen, Denken, Arbeiten und Messen grundlegend anzupassen.
McDonagh-Smith plädiert für einen klaren Perspektivenwechsel. Unternehmen hätten in den vergangenen Jahren viel Energie in Modelle und Technologien investiert, jedoch zu wenig in Mindset, Adoption und geeignete Erfolgskennzahlen. KI dürfe nicht länger als rein technisches Projekt betrachtet werden, sondern als organisationsweite Transformation.
Der Weg dorthin verläuft aus seiner Sicht in drei Schritten: von den Modellen über das Mindset hin zu neuen Metriken. Erst wenn diese drei Ebenen zusammenspielen, entsteht nachhaltiger Mehrwert. Klassische KPIs, die in stabilen, linearen Umfeldern entstanden sind, greifen dabei oft zu kurz. KI verändert Arbeitsgeschwindigkeit, Autonomie, Wissensnutzung und Entscheidungsfindung und verlangt entsprechend nach «KI-nativen» Messgrössen.
Evolution statt Perfektion
Ein zentrales Motiv des Vortrags war die Analogie zur Evolution. Sowohl biologische Systeme als auch KI entwickeln Komplexität aus einfachen Regeln, die ständig wiederholt, getestet und angepasst werden. Übertragen auf Unternehmen bedeutet das: Statt auf perfekte Endlösungen zu warten, sollten Organisationen experimentieren, lernen und iterativ skalieren.
Dieses explorative Mindset ist besonders relevant für Branchen wie Versicherungen oder Finanzdienstleistungen, die traditionell stark reguliert und risikoorientiert sind. KI lässt sich hier nicht einfach «über bestehende Prozesse stülpen». Vielmehr zwingt sie dazu, Prozesse, Rollen und Verantwortlichkeiten kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls neu zu gestalten.
Die «letzte Meile» der KI
Besonders eindrücklich ist McDonagh-Smiths Konzept des «Last Mile AI Engineering». Gemeint ist die oft unterschätzte Strecke zwischen einem funktionierenden Modell und dessen tatsächlicher Nutzung im Alltag. Auf dieser letzten Meile entscheidet sich, ob KI akzeptiert oder abgelehnt wird.
Fünf Prinzipien stehen dabei im Vordergrund: Entscheidungen vom konkreten Anwendungsfall her zu denken, Mensch und Maschine bewusst zu verzahnen, Domänenwissen höher zu gewichten als reine Rechenleistung, klein zu starten und schnell zu lernen sowie Vertrauen von Anfang an mitzudenken. Governance, Transparenz und Risikoabstufungen sind dabei keine Bremsklötze, sondern Voraussetzungen für Skalierung.
Adoption ist mehr als Anwendung
Ein weiterer zentraler Punkt: AI Adoption ist nicht gleich AI Applikation. Viele Unternehmen setzen KI ein, ohne dass sie wirklich angenommen wird. Akzeptanz entsteht nur dort, wo Mitarbeitende verstehen, wann KI hilft und wann der menschliche Faktor entscheidend bleibt. Gerade in sensiblen Kundeninteraktionen oder komplexen Entscheidungsprozessen ist diese Unterscheidung zentral.
McDonagh-Smith warnt zudem davor, Adoption ausschliesslich als internes Thema zu betrachten. Auch Kundinnen, Kunden und Partner sind Teil des Systems. Wenn ihre Erwartungen, Ängste oder Vorbehalte ignoriert werden, wird KI schnell zum Akzeptanzproblem.
Was Führungskräfte jetzt tun sollten
Zum Abschluss formuliert der MIT-Dozent drei konkrete Handlungsimpulse: Erstens sollten Unternehmen gezielt KI-native Kennzahlen entwickeln, die tatsächlichen Mehrwert sichtbar machen. Zweitens braucht es ein klares Adoption-Playbook, eine Art Blaupause dafür, wie Technologie, Menschen und Prozesse zusammenspielen. Und drittens: Zeit. Zeit zum Lernen, zum Experimentieren und zum Reflektieren.
Denn eines machte das Webinar deutlich: KI ist kein Selbstläufer. Sie ersetzt keine Führung, wohl aber Führungskräfte, die sich nicht mit ihr auseinandersetzen. Oder, wie McDonagh-Smith pointiert formuliert: «AI doesn’t replace business leaders. AI replaces business leaders who don’t use AI» (KI ersetzt keine Führungskräfte. KI ersetzt Führungskräfte, die keine KI einsetzen.).
Für Unternehmen in der Versicherungs- und Finanzbranche bedeutet das: Die Zukunft der KI entscheidet sich nicht im Rechenzentrum, sondern im Alltag der Organisation und auf der letzten Meile zwischen Technologie und Mensch.
Binci Heeb
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