Vom Schlagwort zur Praxis: Wie personalisierte Gesundheit die Medizin verändert
15 September, 2025 | Aktuell Allgemein Nicht kategorisiert
Personalisierte Gesundheit ist zu einem der meistdiskutierten Themen in der Medizin geworden. Die Idee ist einfach, aber revolutionär: Prävention, Diagnostik und Behandlungen werden auf die Biologie, den Lebensstil und das Datenprofil jedes Einzelnen zugeschnitten. Auf der kürzlich in Zürich abgehaltenen Future of Health Grant Conference kamen Forscher, Versicherer und Startups zusammen, um zu zeigen, dass diese Vision zunehmend von der Theorie in die Praxis umgesetzt wird.
Die vom Swiss Insurtech Hub (SIH) mitausgerichtete Veranstaltung bei Swiss Re brachte eine einzigartige Mischung von Interessengruppen zusammen: medizinische Forscher, Krankenversicherer, digitale Unternehmer und Patientenvertreter. Sie bot einen Überblick darüber, wie personalisierte Gesundheit nicht nur die Wissenschaft der Gesundheitsversorgung, sondern auch deren Wirtschaftlichkeit und Zugänglichkeit zu verändern beginnt.
Von der Präzisionsonkologie zur täglichen Versorgung
Eine der eindringlichsten Botschaften kam von Professor Olivier Michielin, Leiter der Onkologieabteilung der Universitätskliniken Genf (HUG). Als Pionier der Präzisionsonkologie veranschaulichte Michielin, wie umfangreiche Datensätze – von klinischen Studien bis hin zur molekularen Bildgebung – die Krebsbehandlung bereits jetzt verändern.
«In der Onkologie wissen wir, dass nicht jede Behandlung bei jedem Patienten wirkt», erklärte er. «Früher haben wir ganze Bevölkerungsgruppen mit derselben Therapie behandelt, von der nur 20 bis 30 Prozent der Patienten wirklich profitierten. Heute können wir dank der Präzisionsmedizin Untergruppen mit einer viel höheren Erfolgschance identifizieren. Das bedeutet, dass weniger Patienten ineffektiven Behandlungen ausgesetzt sind und sich die Überlebensraten verbessern.»





Forschungsprogramme zum Aufbau von Datenlagern
Michielin beschrieb, wie Schweizer Forschungsprogramme wie Swiss Personalised Health Network (SPHN) und Personal Health and Related Technologies (PHRT) Krankenhäusern dabei geholfen haben, interoperable Datenlager aufzubauen, sodass Patienteninformationen auf nationaler Ebene gesammelt und analysiert werden können. Diese Infrastruktur sei entscheidend, um von kleinen Pilotprojekten zu klinischen Standards überzugehen, argumentierte er.
Die nächste Herausforderung, fügte er hinzu, seien Multiomics und digitale Pathologie: Technologien, mit denen Tumore Zelle für Zelle kartiert und die Reaktion eines Patienten auf Therapien wie die Immuntherapie vorhergesagt werden können. «Jeder Onkologiepatient hat einen Gewebeschnitt», bemerkte Michielin. «Das bedeutet, dass die Datenverfügbarkeit praktisch 100 Prozent beträgt. Mit KI können wir diese Schnitte analysieren, um subtile Muster zu erkennen, die für das menschliche Auge unsichtbar sind und sie als Grundlage für Behandlungsentscheidungen nutzen.»
Skalierung personalisierter Gesundheit: Versprechen und Paradoxon
Während die Onkologie oft als Testfeld für neue medizinische Ansätze dient, wurde auf der Konferenz deutlich, dass personalisierte Gesundheit weit über Krebs hinausgeht. Startups stellten Lösungen vor, die von gamifizierten Apps zur Reduzierung von Heisshungerattacken bis hin zu Zahnbürsten reichten, die Speichel auf frühe Krankheitsmarker analysieren.
Die Skalierung bleibt jedoch eine Herausforderung. Eric Laudet, Gründer von Holistiq und erfahrener Gesundheitsunternehmer, wies auf das Spannungsfeld zwischen Personalisierung und Erschwinglichkeit hin. «Es ist schön, über individuelle Lösungen nachzudenken, aber wie skaliert man sie?», fragte er. Sein Unternehmen konzentriert sich auf den Aufbau von Telemedizin-Plattformen, die digitale und menschliche Kontaktpunkte kombinieren und es einer grossen Anzahl von Patienten ermöglichen, massgeschneiderte Unterstützung zu erhalten, ohne die Gesundheitssysteme zu überlasten.
Laudet nannte ein Beispiel aus dem Bereich der psychischen Gesundheit: Sein Team hat kürzlich innerhalb von nur zwei Wochen einen globalen Diagnose- und Unterstützungsdienst für ADHS eingeführt. Durch das Angebot von Gruppencoaching und digitalen Meisterkursen verbindet Holistiq Personalisierung mit Skalierbarkeit. «Es ist für Verbraucher erschwinglich und hat einen enormen Einfluss auf ihr Leben», sagte er.
Patienten als Experten
Auch die Stimme der Patienten stand im Mittelpunkt. Hanna Boëthius, die mit Typ-1-Diabetes lebt, berichtete, wie digitale Gesundheitstools das tägliche Krankheitsmanagement verändern können. Sie beschrieb die ständigen Entscheidungen, denen Patienten gegenüberstehen. Zum Beispiel bei der Ernährung, bei Bewegung und bei Medikamente und wie Wearables und Apps nun dabei helfen, die Flut an persönlichen Gesundheitsdaten zu verstehen.
«Für mich bedeutet personalisierte Gesundheit, nicht nur als Patient, sondern auch als Experte für meine eigene Erkrankung behandelt zu werden», betonte sie. Ihre Perspektive hob einen wichtigen Aspekt hervor: Bei Personalisierung geht es nicht nur um Algorithmen, sondern auch um Empowerment.
Binci Heeb
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