Wenn die Apotheke zur Notfallzone wird

27 November, 2025 | Aktuell Allgemein
Wenn die Apotheke zur Notfallzone wird weil in der Schweiz eine beunruhigende Medikamentenknappheit herrscht.
Wenn die Apotheke zur Notfallzone wird weil in der Schweiz eine beunruhigende Medikamentenknappheit herrscht.

Die Schweiz erlebt eine beunruhigende Medikamentenknappheit. Was früher Ausnahme war, wird Alltag mit Folgen, die von Mehrarbeit in Praxen bis hin zu Klinikaufenthalten reichen, nur um Medikamente zu bekommen.

Laut dem Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) vom 25. November 2025 hat die Meldestelle für lebenswichtige Humanarzneimittel seit 2015 den Auftrag, Versorgungsengpässe oder Lieferunterbrüche bei lebenswichtigen Arzneimitteln rasch zu erfassen sowie entsprechende Massnahmen zu ergreifen, wenn die Wirtschaft die Situation nicht mehr eigenständig bewältigen kann. Ziel ist es, Engpässe frühzeitig zu erkennen. Besteht für das gemeldete Arzneimittel zusätzlich eine Lagerpflicht, kann mittels einer Freigabe aus diesem Pflichtlager eine Versorgungsstörung kurzfristig überbrückt werden. Die Pflichtlager können einen Bedarf im Markt von zwei bis vier Monaten decken je nach Art des Arzneimittels.

Vom Hustensaft bis zur Herztherapie

Apotheken, Spitäler und Ärzte schlagen Alarm: Medikamente fehlen und zwar breitflächig. Betroffen sind alltägliche Präparate wie Schmerzmittel, Antibiotika, Schilddrüsen- oder Blutdruckmedikamente, aber zunehmend auch lebenswichtige Mittel für Herzpatienten, Krebsbetroffene, psychisch Kranke oder Menschen mit seltenen Erkrankungen. Die Engpässe ziehen sich durch die gesamte Versorgungskette und treffen sowohl ambulante als auch stationäre Einrichtungen.

Wenn der nächste Liefertermin zum Rätsel wird

Die Frage «Wann ist das wieder verfügbar?» lässt sich oft nicht beantworten. Manche Medikamente gelten seit Monaten als nicht lieferbar. Bei anderen existieren nur vage Prognosen. Ärztinnen und Apotheker müssen improvisieren: alternative Wirkstoffe, Dosierungsanpassungen, Voranmeldungen bei Grosshändlern, ein Flickwerk, das viel Zeit kostet und die Versorgung unsicher macht. Besonders problematisch wird es bei chronisch Kranken, deren Therapie nicht einfach umgestellt werden kann.

Medikamentenlager in der Schweiz

Auf nationaler Ebene ist die Lage ebenfalls schwierig, denn obwohl in der Schweiz eine Verordnung über die Pflichtlagerhaltung von Arzneimitteln (Stand Januar 2024) existiert, fehlen viele wichtige Medikamente. Im Gegensatz zu Grundnahrungsmitteln, Treibstoff oder medizinischen Basisprodukten, ist die Vorsorge bei Medikamenten weniger konsequent geregelt. Die Pflichtlagerhaltung wurde in den vergangenen Jahren politisch diskutiert, aber nicht ausreichend abgebaut. Stattdessen vertraute man lange darauf, dass der Markt funktioniere. Doch dieser Mechanismus gerät nun spürbar an seine Grenzen.

Stationäre Versorgung als letzter Ausweg

Was wie ein Extremfall klingt, passiert bereits: Ein Patient mit einem Vorläuferzustand eines Herzinfarkts musste in eine Klinik eingewiesen werden, obwohl der Zustand medizinisch noch ambulant behandelbar gewesen wäre. Der Grund: Er benötigte Nitroglycerinein lebenswichtiges Medikament, das ambulant nicht mehr erhältlich war. Solche Fälle zeigen, wie aus einem Versorgungsproblem ein medizinisches Risiko wird.

Ein globales Problem mit lokalen Folgen

Die Ursachen liegen selten in der Schweiz selbst. Viele Wirkstoffe werden heute nur noch in wenigen Ländern, insbesondere in Asien, produziert. Liefert ein Hersteller nicht, steht weltweit alles still. Pandemie, geopolitische Spannungen oder wirtschaftliche Prioritäten wirken unmittelbar auf Schweizer Lagerräume. Um Kosten zu sparen ist die Lagerhaltung ist knapp kalkuliert, was die Verletzlichkeit zusätzlich erhöht.

Kauf von Medikamenten in angrenzenden Ländern

Laut Swissmedic darf man bei der Rückreise, etwa aus Deutschland in die Schweiz Medikamente eines anderen Landes mitführen, wenn es sich um die Menge handelt, die für den persönlichen Gebrauch bestimmt ist. Dies entspricht typischerweise einem Monatsbedarf. Beim Grenzübertritt muss das Arzneimittel gesetzlich zugelassen sein oder zumindest nicht verboten. Es muss klar für den eigenen Gebrauch bestimmt sein und nicht zum Weiterverkauf.

Es reicht jedoch nicht aus, ein Medikament einfach in Deutschland zu kaufen und in die Schweiz einzuführen, wenn das Präparat in der Schweiz nicht zugelassen ist oder wenn es sich um grössere Mengen handelt. Der Online-Versand von Arzneimitteln ins Ausland (z. B. Bestellung aus Deutschland in die Schweiz) ist streng reguliert: Private Personen dürfen nur kleinere Mengen importieren, und nur dann, wenn die Mengen klar für den eigenen Gebrauch gelten. Andernfalls kann der Zoll die Sendung stoppen, und es drohen administrative Kosten.

Vertrauen braucht Versorgungssicherheit

Die Schweiz gilt als Land mit stabiler Gesundheitsversorgung. Doch die aktuellen Engpässe werfen eine systemrelevante Frage auf: Wie schützt man Versorgungssicherheit in einer global abhängigen Medikamentenwelt? Erste Forderungen nach nationalen Vorräten, stärkerer Diversifizierung der Lieferketten und mehr Transparenz im Handel werden lauter.

Die Medikamentenkrise ist mehr als ein logistisches Problem – sie ist ein Warnsignal, das zeigt, wie fragil selbst bewährte Systeme sein können.

Binci Heeb

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