Weshalb ist etwas unversicherbar?
7 Dezember, 2020 | Aktuell
So ziemlich alles kann versichert werden, Fussballerbeine, Ölplattformen, die eigene Stimme. Es gibt scheinbar keine Grenzen. Von wegen!
In kaum einen Land ist die Risikodeckung der Menschen bei Versicherungen so hoch wie in der Schweiz. Hier sind gleich einige der weltweit führenden Versicherungsunternehmen zu Hause. Zu nennen unter anderem die Nummer Zwei im globalen Rückversicherungsmarkt, die Swiss Re.
Einen hundertprozentigen Rundum-Schutz gegen sämtliche Risiken und Schäden aber können und wollen Versicherungen entgegen dem Volksglauben nicht bieten. Für die Versicherbarkeit von Risiken gibt es Grenzen. Risiken müssen zufällig, schätzbar, unabhängig sowie eindeutig sein und dürfen die Kapazität des Versicherers nicht übersteigen. Ferner muss sich die Absicherung der Risiken auch aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten für den Versicherer lohnen.
Bedingung: Eindeutig definierbare Merkmale eines möglichen Versicherungsfalls
Damit Leistungen im Versicherungsvertrag überhaupt festgelegt werden können, müssen die Merkmale eines Versicherungsfalls (versicherte Gefahren, Personen, Sachen) der abzudeckenden Schäden und Versicherungsleistungen eindeutig definierbar sein. Vor dem Hintergrund einer stärkeren Kundenzentrierung und den gestiegenen Anforderungen an Transparenz und Verständlichkeit wird es immer schwieriger Versicherungsbedingungen juristisch wasserdicht zu formulieren. Dabei aber trotzdem eine für den Kunden klar verständliche Leistungsdefinition zu formulieren.
Was also ist versicherbar?
Risikovorsorgen sind nur dort möglich, wo der Versicherer eine Ersatzpflicht auch erfüllen kann. Der Maximalschaden des versicherten Einzelrisikos muss daher unter der (wirtschaftlichen) Kapazität eines Versicherers bzw. der gesamten Versicherungsbranche – oder im Falle der Sozialversicherung unter der Wirtschaftskraft eines Landes – liegen. Ohne diese Sicherheit würde ein Versicherungsfall möglicherweise direkt zu einer Insolvenz des Versicherers führen. Der vermeintliche Versicherungsschutz wäre nur teilweise oder gar nicht gegeben, die Schadenskosten blieben beim Versicherungsnehmer.
Versichert, aber mit Grenzen
Risiken wie Atomunfälle oder Krieg sind lediglich begrenzt versicherbar. Ohne finanziellen Schutz bleiben (nur als Beispiel) volkswirtschaftliche Kosten, die entstehen, wenn etwa die EU auseinanderbricht oder die Migration von Flüchtlingen nicht mehr zu beherrschen ist. Sachschäden verursacht durch Anschläge, wie Feuer und Explosionen, sind in bestehenden Policen hingegen weitgehend abgedeckt. Auch Terrorrisiken sind versicherbar.
Die «Versicherbarkeit» hängt auch von der Möglichkeit ab, die Risiken auf viele Schultern zu verteilen. Der ganze Rückversicherungsmarkt spielt eine sehr grosse Rolle. Früher sprachen Broker von der «Atomisierung» der Risiken. Bis die Risk Management Service RMS mit der Erdbebenversicherung begonnen hatte, galt in der Schweiz dieses Risiko als unversicherbar, während in Kalifornien und Japan bereits ein Markt dafür bestand. Sobald also die Versicherung auf internationale Träger verteilt wird, entstehen auch neue Möglichkeiten des Versicherungsschutzes.
Hedging von Wechselkursen und Wetterrisiken
Stefan Brändli, Geologe und Geophysiker bei Funk RiskLab schrieb im Magazin für KMU Organisator 9/20 über interessante Lösungen und Konstrukte für «unversicherbare» Risiken. Darin nennt er als bekanntestes Beispiel das Hedging von Wechselkursrisiken mittels des Finanzmarktes. Auch für Wetterrisiken besteht ein Versicherungsmarkt: Bei Lloyd’s sind über diverse Syndikate Ertragsausfälle versicherbar. Zudem existieren Online Tools mittels denen man für einen bestimmten Tag eine Summe versichern kann, ohne dass der Ertragsausfall nachgewiesen werden muss.
Zufälligkeit und Schätzbarkeit eines Ereignisses
Zeitpunkt, Höhe und/oder Einritt des Risikos müssen bei Abschluss eines Vertrags ungewiss und unbeeinflussbar, somit zufällig sein. Ein sicher eintretendes oder bereits bekanntes Ereignis – legendär das in Flammen stehendes Haus – kann nicht noch rasch versichert werden.
Risiken müssen hinsichtlich ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit und der Höhe geschätzt werden können. Für eine objektive Schätzung sollten hinreichend zuverlässige empirische Daten vorliegen. Risiken, für die es noch keine, oder zu wenig Erfahrungswerte gibt, stellen somit ein echtes Problem dar. Dazu gehören unter anderem auch Cyber-Risiken.
Obwohl Fälle von Cyber-Kriminalität sowohl im privaten, wie im gewerblichen Bereich rapide zunehmen, gibt es einige gute Versicherungslösungen. Aktuelle Policen decken zum Beispiel Hackerangriffe, Datendiebstahl oder Reputationsschäden durch «Shitstorms» ab, jedoch werden die Haftpflichtrisiken unterschätzt. Die Haftung wird in der EU und den Vereinigten Staaten sehr streng geregelt. Die Schweiz will sich dem anpassen. Weltweit übersteigen die Prämieneinnahmen für Cyber Risk bereits jene für konventionelle Sachschäden.
Broker, die sich hier intensiv mit der aktuellen Entwicklung befassen und ihre Kunden entsprechen kompetent beraten können, werden stark profitieren, denn Internetversicherungen haben ein schier endloses Potenzial.
Binci Heeb