«Zahltag nach dem Beben?» – Schweiz ringt um neue Erdbebenversicherung

6 Juni, 2025 | Aktuell Allgemein Nicht kategorisiert
«Zahltag nach dem Beben?» V.l.n.r. Patricia von Falkenstein LDP-Nationalrätin), Michael Wieser (Direktor VKG), Christian Keller (Hrsg. Prime News), Markus Meier, (Direktor HEV Schweiz), Urs Arbter (Direktor SVV).
«Zahltag nach dem Beben?» V.l.n.r. Patricia von Falkenstein (LDP-Nationalrätin), Michael Wieser (Direktor VKG), Christian Keller (Hrsg. Prime News), Markus Meier, (Direktor HEV Schweiz), Urs Arbter (Direktor SVV).

Trotz tausender Erdstösse, Milliardenrisiken ist nur jeder fünfte Haushalt abgesichert ist. Nun steht die Schweiz steht vor einer folgenschweren Entscheidung. Soll eine neue «Eventualverpflichtung» künftig alle Hausbesitzer in die Pflicht nehmen – aber erst nach dem Erdbeben? Eine hitzige Debatte zwischen Freiheit, Verantwortung und Vorsorge zeigte des Helvetia Forums 2025 von vergangener Woche.

Im Jahr 2024 registrierte der Schweizerische Erdbebendienst über 2300 Erdbeben: ein Rekord seit Beginn der Messungen. Dass die Schweiz ein Erdbebenland ist, überrascht manche. Doch spätestens das historische Beben von Basel im Jahr 1356 oder seismische Aktivitäten von einer Magnitude von 3,6 bzw. 3,5 wie 2013 beim Geothermie-Projekt in St. Gallen und 2006 beim Deep Heat Mining-Projekt in Basel zeigen: Die Gefahr ist real, und sie betrifft nicht nur ferne Länder.

«Erdbeben sind keine abstrakte Bedrohung – sie sind Teil unserer Realität,» mahnte Helvetia Schweiz CEO Martin Jara auf dem Helvetia-Forum 2025. Und doch sind nur rund 22 Prozent der Gebäude in der Schweiz gegen Erdbebenschäden versichert.

Eventualverpflichtung statt Pflichtversicherung

Angesichts dieser Lücke schlägt der Bundesrat eine neue Lösung vor: Im Schadenfall – also nach einem schweren Erdbeben – sollen alle Gebäudebesitzer eine einmalige Abgabe leisten. Die Höhe orientiert sich am Versicherungswert und beträgt maximal 0,7 Prozent. Gesichert wird dies durch einen Eintrag im Grundbuch.

«Das ist keine klassische Versicherung, sondern ein innovativer Ansatz, der auf Solidarität im Ernstfall setzt,» sagte LDP-Nationalrätin Patricia von Falkenstein, als Befürworterin. Die Idee: Keine Prämien im Voraus, aber eine faire Kostenbeteiligung nach dem Beben.

V.l.n.r.: Michael Wieser (Direktor VKG), Patricia v. Falkenstein (Nationalrätin LDP BS), Martin Jara (CEO Helvetia Schweiz), Michael Wieser (Direktor HEV), Urs Arbter (Direktor SVV).

Kritiker sprechen hingegen von einer «staatlich verordneten Zwangsabgabe» und sehen das Modell als schwer durchsetzbar – vor allem in einem echten Katastrophenfall. Der Direktor des Hauseigentümerverbandes Schweiz, Makus Meier, warnte: «Eine Rechnung nach dem Beben – das ist kein Versicherungsschutz, sondern Krisenverstärkung.»

Verantwortung – privat, staatlich oder gemeinschaftlich?

Die Debatte auf dem Forum war emotional, kontrovers – und grundlegend. Es geht nicht nur um Zahlen, sondern um Prinzipien: Wie viel Eigenverantwortung darf verlangt werden, wie viel staatlicher Schutz ist gerechtfertigt?

«Versicherbar ist das Risiko durchaus – aber wir sehen keine Pflicht, hier staatlich einzugreifen,» sagte Urs Arbter vom Schweizerischen Versicherungsverband (SVV). Die Durchdringung steige ohnehin, von 6,7 Prozent vor zehn Jahren auf heute 22,1 Prozent. Er warnte: «Wenn der Staat übernimmt, verliert der Markt an Dynamik.»

Doch andere sehen genau darin das Problem: Die freiwillige Versicherungspflicht habe sich nicht bewährt. «Wenn 80 Prozent nicht versichert sind, muss der Staat ohnehin helfen. Warum dann nicht gleich systematisch regeln?» fragte eine Teilnehmerin aus dem Publikum.

Basel, Bern und das Risiko im Boden

Gerade in der Nordwestschweiz ist die Gefahr besonders hoch. Ein erneutes Beben wie 1356 könnte Schäden in der Höhe von 45 Milliarden Franken verursachen, plus infrastrukturelle und indirekte Schäden. Für viele ist klar: Ohne flächendeckende Vorsorge ist die Schweiz nicht krisenfest.

«Ein solches Erdbeben würde uns nicht nur Gebäude kosten, sondern ganze Lebensgrundlagen,» warnte Michael Wieser (Direktor Vereinigung Kantonaler Ge­bäu­de­ver­si­che­run­gen VKG). «Was nützt uns Eigenverantwortung, wenn die Existenz vernichtet ist?»

Zwischen Innovation und Illusion

Die politische Diskussion wird nun konkret: Eine Verfassungsänderung ist nötig, ein Referendum wahrscheinlich. Es wird darum gehen, ob die Bevölkerung eine Eventualverpflichtung mitträgt, oder ob am Ende wieder alles beim Alten bleibt.

Ein Teilnehmer brachte es auf den Punkt: «Das Einzige, was bei Erdbeben sicher ist, ist, dass sie kommen werden. Die Frage ist nur, ob wir dann vorbereitet sind – oder überrascht zahlen.»

Binci Heeb

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